Die Archimedische Anordnung der reellen Zahlen
Satz (Archimedische Anordnung)
Für alle x ∈ ℝ mit x > 0 gilt:
(a) | Die Menge { n x | n ∈ ℕ } ist unbeschränkt. |
(b) | inf { x/n | n ≥ 1 } = 0. |
Beweis
zu (a): Sei x > 0, und sei X = { n x | n ∈ ℕ }. Annahme, s = sup(X) existiert. Dann ist s − x keine obere Schranke von X, also existiert ein n* mit s − x < n* x. Dann ist aber s < n* x + x = (n* + 1) x, im Widerspruch zu (n* + 1)x ∈ X und s obere Schranke von X. Also ist die Menge X unbeschränkt.
zu (b): Es genügt zu zeigen, dass für alle x > 0 und alle ε > 0 ein n ≥ 1 existiert mit x/n < ε. Seien also x > 0 und ε > 0 beliebig. Nach (a) ist { n ε | n ≥ 1 } unbeschränkt, also gibt es ein n ≥ 1 mit x < n ε. Dann gilt aber x/n < ε.
Der Satz zeigt, dass es keine infinitesimalen Größen in ℝ gibt, also Zahlen x > 0 mit x < 1/n für alle natürlichen n ≥ 1. Mit dem Standard-Modell ℝ der heutigen Analysis wird die „Infinitesimalrechnung“ ohne infinitesimale Größen etabliert. Der Begriff „Supremumsrechnung“ oder „Limesrechnung“ wäre für diese Modellierung eines Kontinuums passender.
Ein angeordneter Körper, der die Aussage des Satzes erfüllt, heißt Archimedisch angeordnet. Der Beweis zeigt, dass das Vollständigkeitsaxiom die Archimedische Anordnung impliziert. Eine Folgerung der Archimedischen Anordnung ist nun:
Korollar (ℚ ist dicht in ℝ)
Die rationalen Zahlen sind dicht in den reellen Zahlen, d. h.:
Für alle reellen Zahlen x, y gibt es eine rationale Zahl q zwischen x und y.
Beweis
Ohne Einschränkung ist 0 < x < y. Sei ε = y − x. Nach dem Satz gibt es ein n ≥ 1, mit 1/n < ε. Weiter gibt es nach dem Satz ein m mit m/n > x. Wir wählen zudem m kleinstmöglich, sodass m/n > x. Dann ist (m − 1)/n ≤ x, sodass m/n − 1/n ≤ x. Es gilt also
mn ≤ x + 1n < x + y − x = y.
Also liegt q = m/n zwischen x und y.
Anschaulich formuliert lautet das Argument: Die ganzzahligen Vielfachen von 1/n überdecken die reelle Achse mit der Feinheit 1/n. Damit fällt in jedes Intervall, dessen Länge größer als 1/n ist, ein derartiges Vielfaches. Wählen wir n so groß, dass 1/n < y − x gilt, so liegt ein Vielfaches m/n zwischen x und y. Noch anschaulicher:
Hüpfen wir startend bei 0 in Sprüngen der Länge 1/n, so fallen wir in jede Grube ] x, y [ mit x > 0, deren Länge y − x größer als unsere Sprungweite ist. Der Landepunkt p ist ein Vielfaches von 1/n und damit rational.
Angesichts der Überabzählbarkeit von ℝ und der Abzählbarkeit von ℚ ist der Satz über die Dichtheit von ℚ vielleicht kontraintuitiv. Es ist aber, wie in den Einwänden zur Überabzählbarkeit von ℝ schon diskutiert, kein Widerspruch festzustellen. Wir haben ein weiteres interessantes Phänomen des Unendlichen entdeckt und auf axiomatischer Grundlage bewiesen.