6. Algebraische Gleichungen
Ein komplexes Polynom hat die Form
(+) P = ak zk + ak − 1 zk − 1 + … + a1 z + a0
mit Koeffizienten a0, …, ak ∈ ℂ und einer Variablen z. Sind alle Koeffizienten gleich 0, so heißt P das Nullpolynom. Andernfalls existiert ein größtes k mit ak ≠ 0. Wir nennen dann ak den Leitkoeffizienten des Polynoms und k seinen Grad. Gilt zudem ak = 1, so heißt das Polynom normiert. Polynome der Form P = a0 heißen konstant. Sie haben im Fall a0 ≠ 0 den Grad 0. Dem Nullpolynom ordnen wir den symbolischen Grad − ∞ zu. Der Grad eines Polynoms wird mit deg(P) bezeichnet. Es gilt zum Beispiel
deg(2 + i) = 0, deg(i z) = 1, deg(z2 + i z + 1) = 2, deg(0) = −∞.
Formal können wir ein Polynom als Term (ein syntaktisches Objekt) auffassen oder eleganter mit der Koeffizientenfolge (a0, a1, …, ak, 0, 0, 0, …) (mit Nullfortsetzung) identifizieren. Die Durchführung der Formalisierung in einem allgemeinen Kontext ist eine Aufgabe der Algebra (Konstruktion von Polynomringen). Hier genügt ein intuitives Verständnis.
Einem Polynom wie in (+) ordnen wir die Polynomfunktion oder Auswertungsfunktion fP : ℂ → ℂ zu. Sie ist definiert durch
fP(z) = ak zk + ak − 1 zk − 1 + … + a1 z + a0 für alle z ∈ ℂ.
In (+) spielt z die Rolle einer Variable, in der Definition von fP ist z eine Stelle und der Funktionswert wird durch Termauswertung berechnet. (In der Algebra werden zur Unterscheidung oft große Buchstaben wie X, Y, Z als Variable in (+) verwendet.)
Völlig analog werden Polynome und die zugehörigen Sprechweisen und Begriffe für einen beliebigen Körper K erklärt. Wir konzentrieren uns hier auf K = ℚ, ℝ, 𝔸, ℂ, aber prinzipiell ist jeder Körper (und allgemeiner jeder Ring) als Ausgangspunkt geeignet. Die Koeffizienten eines Polynoms P über K sind nun Elemente von K, und die Auswertungsfunktion hat die Form fP : K → K.
In der Analysis ist es üblich, Polynome und Polynomfunktionen miteinander zu identifizieren. Dies vereinfacht die Sprechweise. Wir können also die Funktion f : ℂ → ℂ mit f (z) = z2 als Polynom bezeichnen, oder vom Polynom z3 − 1 sprechen. In beliebigen Körpern ist hier Vorsicht geboten: Ist K endlich, so gibt es nur endlich viele Funktionen f : K → K. Dagegen gibt es unendlich viele Polynome über K in einer Variablen X, etwa die Monome 1, X, X2, …, Xk, … für alle k ∈ ℕ. Damit gibt es in einem endlichen Körper immer Polynome P und Q mit P ≠ Q und fP = fQ. Ein instruktives Beispiel ist:
Beispiel
Im Körper K2 = { 0, 1 } sei P = X2 − X = X (X − 1). Das Polynom hat den Grad 2. Es gilt aber fP(0) = 0 und fP(1) = 0, sodass fP = f0 (mit dem Nullpolynom 0).
Wir werden gleich zeigen, dass in jedem unendlichen Körper der Übergang von P zu fP injektiv ist, d. h. die Auswertungsfunktionen von P und Q sind genau dann gleich, wenn P und Q dieselben Koeffizientenfolgen besitzen (als algebraische Polynome übereinstimmen). Polynome über einem unendlichen Körper wie K = ℚ, ℝ, 𝔸 oder ℂ können also mit den ihnen zugeordneten Polynomfunktionen identifiziert werden.
Eng verwandt mit Polynomen sind algebraische Gleichungen. Sind a0, …, ak ∈ ℂ mit ak ≠ 0, so heißt
ak zk + … + a1 z + a0 = 0
eine algebraische Gleichung in ℂ vom Grad k in der Unbestimmten z. Wir übernehmen alle Sprechweisen von Polynomen: Die Körperelemente a0, …, ak heißen die Koeffizienten der Gleichung und ak ihr Leitkoeffizient. Gilt ak = 1, so heißt die Gleichung normiert. Die linke Seite der Gleichung definiert ein Polynom P und eine zugehörige Auswertungsfunktion fP : ℂ → ℂ, die wir wie geschildert oft ebenfalls mit P bezeichnen. Ein w ∈ ℂ heißt eine Lösung der Gleichung, wenn P(w) = fP(w) = 0. Die Gleichung heißt lösbar (in ℂ), falls eine Lösung w ∈ ℂ existiert. Andernfalls heißt sie unlösbar. Das Lösen von algebraischen Gleichungen ist äquivalent zur Bestimmung von Nullstellen von Polynomfunktionen.
Analog sind algebraische Gleichungen in ℚ, 𝔸, ℝ oder einem beliebigen Körper K erklärt. Die Lösbarkeit hängt vom verwendeten Körper ab. Die Gleichung x2 − 2 = 0 ist unlösbar in ℚ, aber lösbar in 𝔸, ℝ und ℂ. Die Gleichung a = 0 ist im Fall a ≠ 0 in jedem Körper unlösbar.