Die Eindeutigkeit des Grenzwerts
Dem Leser wird vielleicht aufgefallen sein, dass wir von einem und nicht von dem Grenzwert einer Folge gesprochen haben. Wenn es auch anschaulich klar sein mag, dass ein Grenzwert eindeutig bestimmt ist, so müssen wir es doch beweisen. Der Beweis ist zudem ein Paradebeispiel für die ε-Argumentation, die bei Grenzwertuntersuchungen pausenlos im Einsatz ist.
Satz (Eindeutigkeit des Grenzwerts)
Seien x und y Grenzwerte von (xn)n ∈ ℕ. Dann ist x = y.
Beweis
Sei ε > 0. Dann gibt es n0 und n1 mit
| xn − x | < ε2 für alle n ≥ n0, | xn − y | < ε2 für alle n ≥ n1.
Sei n2 ≥ n0, n1 (etwa n2 = max(n0, n1)). Dann gilt
| xn − x | < ε2, | xn − y | < ε2 für alle n ≥ n2.
Insbesondere gilt dies für n2. Nach der Dreiecksungleichung ist dann aber
| x − y | | = | x − xn2 + xn2 − y | = | (x − xn2) + (xn2 − y) | |
≤ | x − xn2 | + | xn2 − y | < ε2 + ε2 = ε. |
Da ε > 0 beliebig ist, gilt x = y.
Der Leser ist aufgerufen, den Text beiseite zu legen und das Argument eigenständig zu wiederholen.
Die Form der Argumentation taucht häufiger auf und wird in mathematischen Kreisen als ε/2-Argument bezeichnet. Im Beweis der Limesregeln werden wir gleich ein zweites Beispiel kennenlernen. Völlig legitim ist auch eine 2ε-Argumentation, bei der zwei ε-Abschätzungen zu einer 2ε-Abschätzung zusammengesetzt werden (vgl. die zweite der obigen Varianten der Konvergenzbedingung). Wir werden auch ε/3-Argumente kennenlernen, bei denen drei Abschätzungen zu einer ε-Abschätzung zusammengeführt werden.
Zur Eindeutigkeit des Grenzwerts: Liegen alle Folgenglieder xn für n ≥ n0 in einem Intervall ] x − ε, x + ε [ mit ε ≤ |x − y|/2, so liegt kein xn für n ≥ n0 in ] y − ε, y + ε [, da die beiden Intervalle disjunkt sind. Folglich kann y kein Grenzwert der Folge sein. Im Beweis hatten wir ε = |x − y|/2 gewählt, im Diagramm betrachten wir ein kleineres ε, damit die Intervalle um x und y optisch getrennt sind.
Wir haben den Beweis ausführlich präsentiert. In Zukunft werden wir die „Einsatzstellen“ n0 und n1 freier verwenden. Wir hätten zum Beispiel ohne Einschränkung annehmen können, dass n1 ≥ n0 ist. Dadurch wird die Einführung von n2 überflüssig. Der Leser wird mit Blick auf die Konvergenzbedingung sehen, dass mit jedem für ein ε > 0 geeigneten n0 auch jedes n1 > n0 für ε geeignet ist. Diese Vergrößerungseigenschaft des „ab jetzt gilt“-Index n0 wird oft verwendet.
Aufgrund der Eindeutigkeit des Grenzwerts können wir definieren:
Definition (Limes- und Pfeilnotation für konvergente Folgen)
Sei (xn)n ∈ ℕ eine konvergente Folge in ℝ. Dann schreiben wir
limn → ∞ xn, limn ∈ ℕ xn oder limn xn (Limesnotationen)
für den Grenzwert von (xn)n ∈ ℕ. Gleichbedeutend zu „x = limn → ∞ xn“ ist weiter auch die Schreibweise
„xn → x für n → ∞“, (Pfeilnotation der Konvergenz)
gelesen:
„xn konvergiert gegen x für n gegen unendlich“ oder
„xn strebt gegen x, wenn n gegen unendlich strebt“.
So gilt zum Beispiel 1 − 1/n → 1 für n → ∞.