Wurzeln und rationale Exponenten
Die Stärke der Potenzregel (d) für konvergente Folgen zeigt der folgende einfache Beweis der Existenz von Wurzeln in ℝ.
Satz (Existenz von Wurzeln)
Für alle n ≥ 1 und alle x ≥ 0 existiert ein eindeutiges y ≥ 0 mit yn = x.
Beweis
Sei n ≥ 1. Die Aussage ist trivial für x = 0 (mit y = 0). Sei also x > 0. Gilt 0 ≤ y1 < y2, so ist y1n < y2n. Dies zeigt die Eindeutigkeit. Für die Existenz sei
Y = { y ≥ 0 | yn ≤ x }.
Dann ist 0 ∈ Y und Y ≤ max(x, 1), also existiert
y = sup(Y).
Wegen x > 0 ist y > 0. Sei also (εk)k ∈ ℕ eine streng monoton fallende Nullfolge mit ε0 < y. Dann ist y − εk ∈ Y und y + εk ∉ Y für alle k, und damit gilt:
x ≤ limk (y + εk)n = (limk y + εk)n = yn = (limk y − εk)n = limk (y − εk)n ≤ x.
Also ist yn = x.
Wir definieren:
Definition (n-te Wurzel)
Für alle n ≥ 1 und alle x ≥ 0 in ℝ heißt das eindeutige y ≥ 0 in ℝ mit yn = x die n-te Wurzel von x, in Zeichen
y = rootn(x) = n.
Im Fall n = 2 heißt y die (positive) Quadratwurzel von x.
Für ungerade n können wir allgemeiner n für alle x ∈ ℝ definieren.
Die n-ten Wurzeln
fn : [ 0, ∞ [ → ℝ, fn(x) = n für n = 2, 4, 8, 16
Rationale Exponenten
Aus theoretischer wie praktischer Sicht ist eine alternative exponentielle Notation für die Wurzeln angemessen. Da für die Quadratwurzel y einer reellen Zahl x > 0 die Gleichung y · y = x gilt, bietet sich die Potenzschreibweise y = x1/2 an. Dann ist
x1/2 · x1/2 = x1 = x1/2 + 1/2,
mit der vertrauten Behandlung der Exponenten. Bezeichnen wir analog die dritte Wurzel aus x mit x1/3, und setzen wir weiter x2/3 = (x1/3)2, so gilt
x1/3 · x1/3 · x1/3 = x1 = x1/3 + 1/3 + 1/3, x1/3 · x1/3 = x1/3 + 1/3 = x2/3, …
Diese Überlegungen motivieren die folgende Definition:
Definition (Exponentiation für rationale Exponenten)
Für alle x > 0 und q = m/n ∈ ℚ, m, n ∈ ℤ, n ≥ 1, setzen wir
xq = rootn(xm) = n.
Für q > 0 setzen wir zudem 0q = 0.
Beispielsweise ist 2− 3/5 = root5(2−3) = root5(1/8) = 5.
Die Exponentiation ist wohldefiniert, denn für alle n, m, n′, m′ und x > 0 gilt:
m/n = m′/n′ impliziert xm/n = xm′/n′.
Für den Fall n = 1 geht die neue Exponentiation in die alte Exponentiation für ganzzahlige Exponenten und nichtnegative Basen über.
Wie erwünscht gelten die alten Rechengesetze:
Satz (Rechengesetze für Wurzeln)
Für alle x, y > 0 und alle p, q ∈ ℚ gilt:
(a) | (x y)p = xp yp, |
(b) | xp xq = xp + q, |
(c) | (xp)q = xp q = (xq)p. |
Gilt p, q > 0, so gelten diese Aussagen für alle x, y ≥ 0.
Für ungerade n können wir die Definition von xm/n wieder auf ganz ℝ erweitern, d. h. auch negative Zahlen zulassen. Dann ist zum Beispiel (−27)1/3 = − 3. Positive Basen sind für die Exponentiation der „gute Fall“. Bei negativen Basen ist Vorsicht geboten. So ist zum Beispiel x2 = x4/2 = (x4)1/2 für alle x ∈ ℝ, während die Rechnung x2 = x4/2 = (x1/2)4 nach der Regel (c) nur für x ≥ 0 sinnvoll ist.
Im weiteren Verlauf werden wir die Exponentiation noch einmal erweitern, nämlich zu einer Exponentiation xy für x > 0 und y ∈ ℝ.