Der Satz von Bolzano-Weierstraß
Die Folge (0, 1, 2, …) hat keinen Häufungspunkt. Dagegen hat die Pendelfolge (1, −1, 1, −1, …) die Häufungspunkte 1 und −1. Unser erster „großer Satz“, den wir insbesondere bei der Untersuchung von stetigen Funktionen einsetzen werden, besagt nun allgemein, dass Folgen, deren Glieder sich in einem beschränkten Bereich von ℝ tummeln, immer einen Häufungspunkt besitzen:
Satz (Satz von Bolzano-Weierstraß)
Jede beschränkte Folge (xn)n ∈ ℕ in ℝ besitzt einen Häufungspunkt.
Beweis
Sei (xn)n ∈ ℕ beschränkt durch r > 0. Wir setzen I0 = [ −r, r ] und i0 = 0. Dann gilt { xn | n ∈ ℕ } ⊆ I0. Durch iterierte Halbierung von I0 können wir rekursiv abgeschlossene Intervalle In = [ an, bn ] und natürliche Zahlen in definieren, sodass für alle n gilt:
(a) | In + 1 ⊆ In, |
(b) | bn − an = b0 − a02n, |
(c) | es gibt unendlich viele i mit xi ∈ In, |
(d) | in + 1 > in, |
(e) | xin ∈ In. |
zur rekursiven Konstruktion
Seien In = [ an, bn ] und in konstruiert. Wir setzen:
cn = an + bn2,(Intervallmittelpunkt)
L = [ an, cn ], R = [ cn, bn ].(linke und rechts Hälfte)
Da nach (c) unendlich viele Folgenglieder in In liegen, tritt einer der beiden folgenden (sich nicht ausschließenden) Fälle ein:
1. Fall: Es liegen unendlich viele Folgenglieder in L.
2. Fall: Es liegen unendlich viele Folgenglieder in R.
Wir setzen In + 1 = L im ersten Fall und In + 1 = R andernfalls. Weiter sei
in + 1 = „das kleinste i > in mit xi ∈ In + 1“.
Nach dem Prinzip der Intervallschachtelung ist der Durchschnitt aller In die einpunktige Menge { x* } mit
x* = supn an = infn bn.
Dieses x* ist ein Häufungspunkt von (xn)n ∈ ℕ. Denn es gilt:
(+) limn xin = x*.
Beweis von (+)
Sei ε > 0, und sei n0 mit bn0 − an0 < ε. Für jedes n ≥ n0 sind xin und x* Elemente von In0, da xin ∈ In ⊆ In0. Also gilt für alle n ≥ n0:
|xin − x*| ≤ bn0 − an0 < ε.
Bemerkungen
(1) | Der Beweis benutzt wesentlich die Vollständigkeit von ℝ (in Gestalt des Intervallschachtelungsprinzips). Eine analoge Aussage ist in ℚ nicht richtig. Ist (xn)n ∈ ℕ eine Folge in ℚ mit limn xn = in ℝ, so ist (xn)n ∈ ℕ eine beschränkte Folge in ℚ ohne Häufungspunkt in ℚ. |
(2) | Die abstrakte rekursive Konstruktion des Beweises bereitet vielen Anfängern Schwierigkeiten. Dem Leser sei geraten, sich das Argument zunächst anschaulich klar zu machen: Wir halbieren wiederholt [ −r, r ] und wählen in jedem Schritt eine Hälfte, in der sich immer noch unendlich viele Folgenglieder befinden. Weiter markieren wir in jedem der gewählten Intervalle ein Folgenglied (und zwar so, dass die Indizes der markierten Glieder streng monoton sind). Die markierten Glieder streben gegen den eindeutigen Punkt im Schnitt der Intervalle. |
(3) | Die Voraussetzung der Beschränktheit ist wesentlich: Die Folge 0, 1, 2, 3, … n, … hat keinen Häufungspunkt. Die rekursive Konstruktion scheitert gleich zu Beginn: I0 existiert nicht wie gewünscht. Umgekehrt genügt die etwas schwächere Voraussetzung „Es gibt ein r mit xn ∈ [ − r, r ] für unendlich viele n.“ (Beschränktheit einer Teilfolge) für die Existenz eines Häufungspunkts. |
Illustration zum Beweis des Satzes von Bolzano-Weierstraß
Als erste Anwendung des Satzes von Bolzano-Weierstraß zeigen wir:
Satz (Existenz monotoner Teilfolgen)
Sei (xn)n ∈ ℕ eine Folge in ℝ. Dann existiert eine Teilfolge von (xn)n ∈ ℕ, die konstant, streng monoton fallend oder streng monoton steigend ist.
Beweis
Ist (xn)n ∈ ℕ nach oben unbeschränkt, so setzen wir i0 = 0 und definieren rekursiv
in + 1 = „das kleinste i > in mit xi > xin“ für alle n ∈ ℕ.
Ein solches i existiert (sonst wäre max { x0, …, xin } eine obere Schranke der Folge). Nach Konstruktion ist (xin)n ∈ ℕ streng monoton steigend (und aufgrund der minimalen Wahl gilt limn xn = ∞). Analog finden wir eine streng monoton fallende Teilfolge, falls (xn)n ∈ ℕ nach unten unbeschränkt ist.
Wir nehmen also an, dass (xn)n ∈ ℕ beschränkt ist. Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß existiert eine konvergente Teilfolge (yn)n ∈ ℕ der Folge. Wir zeigen, dass diese Folge eine konstante oder streng monotone Teilfolge besitzt. Dies genügt (denn eine Teilfolge einer Teilfolge einer Folge ist eine Teilfolge der Folge). Wir setzen hierzu
y = limn yn.
Wir unterscheiden drei Fälle.
1. Fall: yn = y für unendlich viele n.
Dann gibt es eine Teilfolge (yin)n ∈ ℕ mit yin = y für alle n. Diese Folge ist konstant.
2. Fall: y < yn für unendlich viele n.
Sei i0 derart, dass y < yi0. Wir definieren rekursiv:
in + 1 = „das kleinste i > in mit y < yi < yin“.
Ein solches i existiert, da y < yn für unendlich viele n und limn yn = y. Nach Konstruktion ist (yin)n ∈ ℕ streng monoton fallend.
3. Fall: yn < y für unendlich viele n.
Analog zum zweiten Fall erhalten wir eine streng monoton steigende Teilfolge von (yn)n ∈ ℕ.
Explizit halten wir fest:
Korollar (Satz von Bolzano-Weierstraß, Verstärkung)
Jede beschränkte Folge (xn)n ∈ ℕ in ℝ besitzt eine konvergente Teilfolge, die konstant, streng monoton fallend oder streng monoton steigend ist.