Partialsummen und Reihen
Betrachten wir von einem naiven Standpunkt aus die unendliche Summe
1 − 1 + 1 − 1 + 1 − 1 + …,
so kommen vielleicht die Zahlen 1, 0 und ihr arithmetisches Mittel 1/2 als Werte in Frage, oder es entsteht der Eindruck, dass eine unendliche Summation nicht durchführbar ist. Wie immer ist es eine Frage der Definition, welche Antwort korrekt ist. Die folgende Begriffsbildung stellt, gegeben eine Folge (xn)n ∈ ℕ von Summanden, die Summen ihrer Anfangsstücke
sn = x0 + x1 + … + xn
in den Vordergrund. Die Werte sn tauchen ja in natürlicher Weise auf, wenn wir die unendliche Summe x0 + x1 + … + xn + … von links nach rechts schrittweise berechnen. Es liegt dann nahe, das Ergebnis der unendlichen Summation im Fall der Existenz als den Grenzwert der Teil- oder Partialsummen sn zu definieren.
Definition (Partialsumme, unendliche Reihe)
Sei (xn)n ∈ ℕ eine Folge in ℝ. Für alle n setzen wir
sn = ∑k ≤ n xk
und nennen sn die n-te Partialsumme der Folge (xn)n ∈ ℕ. Weiter heißt die Folge (sn)n ∈ ℕ die durch (xn)n ∈ ℕ definierte (unendliche) Reihe in ℝ. Die Zahlen xn heißen auch die Summanden oder Glieder der Reihe.
Eine unendliche Reihe ist also die Folge (∑k ≤ n xk)n ∈ ℕ der Partialsummen einer beliebigen reellen Folge (xn)n ∈ ℕ.
Beispiele
(1) | Die Folge (0, 1, 2, 3, …) = (n)n ∈ ℕ definiert die Reihe (0, 1, 3, 6, 10, 15, …) = (n(n + 1)/2)n ∈ ℕ. |
(2) | Die Folge (1, −1, 1, −1, 1, −1, …) = ((−1)n)n ∈ ℕ definiert die Reihe (1, 1 − 1, 1 − 1 + 1, 1 − 1 + 1 − 1, … = (1, 0, 1, 0, 1, 0, …) |
Da eine unendliche Reihe eine Folge ist, ist die Konvergenz oder Divergenz einer unendlichen Reihe bereits definiert, und gleiches gilt für die uneigentliche Konvergenz gegen ∞ oder − ∞. Für den Grenzwert führen wir aber noch eine suggestive Notation ein:
Definition (unendliche Summe)
Sei (sn)n ∈ ℕ die durch (xn)n ∈ ℕ definierte unendliche Reihe. Konvergiert die Folge (sn)n ∈ ℕ, so setzen wir
∑n ≥ 0 xn = limn sn.
Die reelle Zahl ∑n ≥ 0 heißt die (unendliche) Summe von (xn)n ∈ ℕ oder der Wert der Reihe (sn)n ∈ ℕ.
Statt ∑n ≥ 0 xn schreiben wir auch
∑n xn, ∑∞n = 0 xn, x0 + x1 + … + xn + … (Reihennotationen)
Varianten wie ∑n ≥ 1 xn sind wieder selbsterklärend.
Ist (xn)n ∈ ℕ gegeben, so ist die Notation (sn)n ∈ ℕ mit sn = ∑k ≤ n xk der zugehörigen Reihe etwas umständlich. Wir vereinbaren deswegen:
Konvention
Wir bezeichnen mit ∑n ≥ 0 xn auch die durch die Folge (xn)n ∈ ℕ definierte Reihe (∑k ≤ n xk)n ∈ ℕ, sodass ∑n ≥ 0 = (sn)n ∈ ℕ = (∑k ≤ n xk)n ∈ ℕ.
Damit bedeutet ∑n ≥ 0 xn also zweierlei: Im Fall der Konvergenz den Grenzwert der Partialsummen von (xn)n ∈ ℕ und in jedem Fall die Folge dieser Partialsummen. Diese Doppelbedeutung ist aber in der Regel ungefährlich.
Beispiele
∑n 0 = (0, 0, 0, …) | ∑n 0 = 0 |
∑n 1 = (1, 2, 3, 4, …) | ∑n 1 = ∞ |
∑n (−1)n = (1, 0, 1, 0, …) | ∑n (−1)n divergiert |
∑n ≥ 1 (1/2)n = (1/2, 3/4, 7/8, …) | ∑n ≥ 1 (1/2)n = 1 |
Aufsummieren der Summanden
xn (weiße Kreise) ergibt die Partialsummen sn (schwarze Kreise):
s0 = x0, sn + 1 = sn + xn + 1.
Der Fall xn = sn wird durch einen grauen Kreis dargestellt.
Sind alle Summanden xn positiv, so sind die Partialsummen streng monoton steigend. Analog fallen die Partialsummen streng monoton, falls alle Summanden negativ sind.
Konstante Summanden führen zu linearem Wachstum. Weiter erzeugt ein Vorzeichenwechsel der Summanden eine lokale „Spitze“ (Extremum) der Partialsummen (vgl. auch das erste Diagramm).
Fallen die Summanden xn monoton, so haben die Partialsummen einen rechtsgekrümmten (konkaven) Verlauf. Analog verlaufen sie linksgekrümmt (konvex), falls die Summanden monoton steigen.
In Abschnitt 4 werden wir analoge Zusammenhänge zwischen einer differenzierbaren Funktion f und ihrer Ableitung f ′ kennenlernen.