Stetige Fortsetzungen

 Manchmal sind durch gewisse Konstruktionen Funktionen an einigen Stellen nicht definiert, obwohl sich ein Funktionswert an diese Stellen geradezu aufdrängt. Zum Beispiel ist für die Polynome f, g :    mit

f (x)  =  x2 − 1,  g(x)  =  x − 1  für alle x

der Quotient f/g :  − { 1 }   an der Nullstelle 1 von g nicht definiert. Da

f (x)  =  (x + 1)(x − 1)  für alle x,

gilt

(f/g)(x)  =  x + 1  für alle x ≠ 1.

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Damit erlaubt f/g eine natürliche Fortsetzung nach . Wir definieren:

Definition (stetige Fortsetzung, stetig fortsetzbar)

Eine stetige Funktion h : Q   heißt eine stetige Fortsetzung einer Funktion f : P  , falls h|P = f, d. h. es gilt

P  ⊆  Q  und  f (x)  =  h(x)  für alle x  ∈  P.

Eine stetige Funktion f : P   heißt stetig fortsetzbar nach Q, falls eine stetige Fortsetzung h : Q   von f existiert.

 Die einfachsten Fortsetzungsfragen betreffen einen einzelnen Punkt, an dem eine Funktion nicht definiert ist. Hierunter fallen neben einer divisionsbedingten Definitionslücke beispielsweise auch der linke oder rechte Randpunkt eines offenen Intervalls, auf dem eine Funktion definiert ist. Hier gilt der folgende leicht zu beweisende Fortsetzungssatz:

Satz (stetige Einpunktfortsetzungen)

Ist f : P   eine stetige Funktion und ist p*  ∉  P, so ist die Funktion f genau dann nach P ∪ { p* } stetig fortsetzbar, wenn ein y  ∈   existiert mit:

(+)  Ist (xn)n  ∈   eine gegen p* konvergente Folge in P, so gilt limn f (xn) = y. (Fortsetzungsbedingung)

In diesem Fall ist die Funktion h : P ∪ { p* }   mit

h(x)=f(x)falls xPyfalls x=p*

eine stetige Fortsetzung von f. Ist p* ein Häufungspunkt von P, so ist diese stetige Fortsetzung von f nach P ∪ { p* } eindeutig.

Beispiele

(1)

Für obige rationale Funktion f/g :  − { 1 }   mit

(f/g)(x)  =  (x2 − 1)/(x − 1)  für alle x  ∈   − { 1 }

ist die Funktion h :    mit h(x)  =  x + 1 für alle x  ∈   die eindeutige stetige Fortsetzung von f/g.

(2)

Die Funktion f :  − { 0 }   mit f (x) = 0 für x < 0 und f (x) = 1 für x > 0 lässt sich nicht stetig nach  fortsetzen. (Dabei ist f selbst stetig.)

 Ein schwierigeres Fortsetzungsproblem betrifft den Übergang von  nach :

Wann ist eine Funktion f :    stetig nach  fortsetzbar?

Die Stetigkeit von f auf  ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Ist zum Beispiel p eine irrationale Zahl, so ist f :    mit

f (q)  =  0  für alle q < p,  f (q)  =  1  für alle q > p

stetig auf , erlaubt aber keine stetige Fortsetzung nach . Die stetige Fortsetzung scheitert ebenso anschaulich wie formal an der Lücke zwischen 0 und 1 im Wertebereich von f. Gewisse stetige und monotone Funktionen auf den rationalen Zahlen lassen sich aber stetig fortsetzen. Wir erinnern an:

Definition (monoton steigend, monoton fallend)

Eine Funktion f : P   heißt monoton steigend (fallend), falls für alle x < y in P gilt, dass f (x) ≤ f (y) (f (x) ≥ f (y)). Sie heißt streng monoton steigend (fallend), falls für alle x < y in P gilt, dass f (x) < f (y) (f (x) > f (y)). Schließlich heißt f (streng) monoton, falls f (streng) monoton steigend oder (streng) monoton fallend ist.

 Der folgende Satz besagt, dass sich eine stetige und monotone Funktion auf , deren Wertebereich keine Sprünge aufweist, stetig nach  fortsetzen lässt.

Satz (Fortsetzungssatz für monotone Funktionen auf )

Sei f :    eine stetige und monoton steigende Funktion. Es gelte:

(+)  Für alle p, q  ∈   mit f (p) < f (q) existiert ein r  ∈   mit f (p) < f (r) < f (q). (Fortsetzungsbedingung)

Dann existiert eine eindeutige stetige Fortsetzung h :    von f. Es gilt

h(x)  =  supq  ∈  , q < x f (q)  =  infq  ∈  , q > x f (q)   für alle x  ∈  .

Eine analoge Aussage gilt für monoton fallende Funktionen.

 Der Beweis sei dem interessierten Leser zur Übung überlassen. Eine Anwendung des Satzes werden wir bei der Diskussion der verschiedenen Möglichkeiten der Einführung der Exponentiation ax im vierten Kapitel kennenlernen.