Grenzwerte für Funktionen
Unsere anschauliche Formulierung der Stetigkeit von f im Punkt p lautete:
Nähern wir uns dem Punkt p in beliebiger Weise an, so nähern sich die
dieser Annäherung entsprechenden Funktionswerte dem Funktionswert f (p) an.
Diese Formulierung haben wir formal umgesetzt als:
(+) | Für alle gegen p konvergenten Folgen (xn)n ∈ ℕ in P gilt: |
limn xn = p impliziert limn f (xn) = f (p). |
Nachdem wir mit dieser Limesdefinition der Stetigkeit nun vertraut sind, wollen wir noch eine suggestive Notation einführen. Statt (+) schreiben wir:
„limx → p f (x) = f (p)“ oder „f (x) → f (p) für x → p“.
Wir wollen diese neue Notation und einige nützliche Varianten nun noch genau erklären. Hierzu sei f : P → ℝ eine Funktion. Weiter sei p ∈ ℝ ein Punkt derart, dass mindestens eine Folge (xn)n ∈ ℕ in P existiert, die gegen p konvergiert. Diese Bedingung ist trivialerweise durch (p)n ∈ ℕ erfüllt, wenn p ein Element von P ist, aber sie gilt zum Beispiel auch für P = ] 0, 1 ] und p = 0. In dieser Situation führen wir für alle y ∈ ℝ = ℝ ∪ { ± ∞ } und alle Teilmengen Q von P, für die immer noch eine Folge (xn)n ∈ ℕ in Q mit limn xn = p existiert, die folgenden Notationen ein:
limx → p f (x) = y | bedeutet | für alle gegen p konvergenten Folgen (xn)n ∈ ℕ in P gilt limn f (xn) = y |
limx → p, x ∈ Q f (x) = y | bedeutet | für alle gegen p konvergenten Folgen (xn)n ∈ ℕ in Q gilt limn f (xn) = y |
limx → p, x ≠ p f (x) = y | bedeutet | limx → p, x ∈ P − { p } f (x) = y |
limx ↓ p f (x) = y | bedeutet | limx → p, x ∈ P ∩ ] p, ∞ [ f (x) = y |
limx ↑ p f (x) = y | bedeutet | limx → p, x ∈ P ∩ ] −∞, p [ f (x) = y |
limx → ∞ f (x) = y | bedeutet | P ist nach oben unbeschränkt und für alle uneigentlich gegen ∞ konvergenten Folgen (xn)n ∈ ℕ in P gilt limn f (xn) = y |
limx → −∞ f (x) = y | bedeutet | P ist nach unten unbeschränkt und für alle uneigentlich gegen −∞ konvergenten Folgen (xn)n ∈ ℕ in P gilt limn f (xn) = y |
Damit können wir nun den Grenzwert einer Funktion unter einer bestimmten Annäherungsbedingung definieren:
Definition (Grenzwert einer Funktion, Streben gegen einen Wert)
Gilt limx → p, x ∈ Q f (x) = y, so sagen wir, dass f gegen y strebt, wenn x in Q gegen p strebt, oder dass f bei Annäherung an p in Q gegen y strebt. Wir nennen dann y auch den Grenzwert von f im Punkt oder an der Stelle p bei Annäherung an p in Q.
Gilt limx ↑ p f (x) = y, so heißt y der linksseitige Grenzwert von f im Punkt p. Analog heißt y der rechtsseitige Grenzwert von f in p, falls limx ↓ p f (x) = y.
Wir betrachten einige Beispiele.
Beispiele
(1) | Für die Sprungfunktion f : ℝ* → ℝ mit f (x) = 0 für x < 0 und f (x) = 1 für x > 0 gilt limx ↓ 0 f (x) = 1, limx ↑ 0 f (x) = 0. |
(2) | limx → ∞ x2 = limx → −∞ x2 = ∞, limx → − ∞ x3 = − ∞. |
(3) | limx ↓ 0 1/x = ∞, limx ↑ 0 1/x = − ∞. |
(4) | limx → 0, x ≠ 0 1/x existiert nicht. |
limx ↓ 0 f (x) = 0
limx ↑ 0 f (x) = − ∞
limx → 0 f (x) existiert nicht
limx ↓ 1 g(x) = 1
limx ↑ 1 g(x) = 1
limx → 1, x ≠ 1 g(x) = 1
limx → 1 g(x) existiert nicht
(vgl. auch die Bemerkung auf der nächsten Seite)
Gilt limx → p f (x) = y für einen Punkt p des Definitionsbereichs von f, so ist y = f (p), denn die konstante Folge (p)n ∈ ℕ ist in diesem Fall eine gegen p konvergente Folge in P. Damit gilt:
Satz (Grenzwerte von Funktionen und Stetigkeit)
Sei f : P → ℝ, und sei p ∈ P. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:
(a) | f ist stetig in p. |
(b) | limx → p f (x) existiert. |
(c) | limx → p f (x) = f (p). |
Bemerkung
Ist p ∈ P, so ist in unserer Definition in „x → p“ der Punkt p bei der Annäherung zugelassen. Weit verbreitet ist auch die Konvention, in „x → p“ nur Folgen (xn)n ∈ ℕ im punktierten Definitionsbereich P − { p } zuzulassen. Bei dieser Konvention ist ein Ausdruck „limx → p f (x) = y“ also gleichwertig mit unserer Notation „limx → p, x ≠ p f (x) = y“. Der Satz ist nicht mehr gültig, denn aus der Existenz des Limes folgt bei der zweiten Konvention nicht mehr automatisch seine Übereinstimmung mit f (p).
Unter beiden Konventionen gilt dagegen (Übung):
Satz (Stetigkeit durch links- und rechtsseitige Grenzwerte)
Sei I ein Intervall, und sei f : I → ℝ. Weiter sei p ∈ I, und p sei kein Randpunkt von I. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:
(a) | f ist stetig in p. |
(b) | limx ↑ p f (x) = limx ↓ p f (x) = f (p). |
Analoge Äquivalenzen mit einseitigen Grenzwerten gelten für die Randpunkte eines Definitionsintervalls I.
Den Satz über stetige Einpunktfortsetzungen können wir nun so angeben:
Satz (stetige Einpunktfortsetzungen)
Ist f : P → ℝ stetig und sind p* ∉ P und y ∈ ℝ derart, dass
y = limx → p* f (x),
so lässt sich die Funktion f durch „f (p*) = y“ eindeutig auf P ∪ { p* } stetig fortsetzen.
Der Leser beachte, dass die Gültigkeit von y = limx → p* f (x) beinhaltet, dass es eine Folge in P gibt, die gegen p* konvergiert. Wegen p* ∉ P ist p* ein Häufungspunkt von P und die stetige Fortsetzung also eindeutig.