Gleichmäßige Stetigkeit und Lipschitz-Stetigkeit
Wir führen zwei Verstärkungen der Stetigkeit ein, die im weiteren Verlauf eine wichtige Rolle spielen werden. Zur Motivation betrachten wir noch einmal die Stetigkeit einer Funktion f : P → ℝ in der Umgebungsformulierung:
∀p ∈ P ∀ε > 0 ∃δ > 0 ∀x ∈ P (|x − p| < δ → |f (x) − f (p)| < ε).
Ein Wert δ hängt hier im Allgemeinen sowohl von p als auch von ε ab. Bei einem „gleichmäßigen Wachstumsverhalten“ von f lässt sich die Abhängigkeit von p eliminieren. Der Allquantor über p kann dann nach rechts versetzt werden, sodass er nach dem Existenzquantor über δ erscheint. Wir definieren:
Definition (gleichmäßige Stetigkeit)
Eine Funktion f : P → ℝ heißt gleichmäßig stetig, falls gilt:
∀ε > 0 ∃δ > 0 ∀p, x ∈ P (|x − p| < δ → |f (x) − f (p)| < ε). (gleichmäßige ε-δ-Bedingung)
Die gleichmäßige Stetigkeit ist kein punktweises, sondern ein globales Stetigkeitskonzept. Wir werden im nächsten Kapitel zeigen, dass sich die Stetigkeit einer Funktion zur gleichmäßigen Stetigkeit verstärkt, falls der Definitionsbereich von f ein Intervall der Form [ a, b ] ist. Im zweiten Band werden wir mit diesem Ergebnis die Integrierbarkeit stetiger Funktionen f : [ a, b ] → ℝ beweisen.
Auch jenseits der gleichmäßigen Stetigkeit lassen sich noch schärfere Stetigkeitseigenschaften finden. Der folgende Begriff spielt unter anderem in der Theorie der Differentialgleichungen eine wichtige Rolle:
Definition (Lipschitz-Stetigkeit)
Eine Funktion f : P → ℝ heißt Lipschitz-stetig oder dehnungsbeschränkt, falls ein L ≥ 0 existiert mit
∀p, x ∈ P |f (x) − f (p)| ≤ L |x − p|. (Lipschitz-Bedingung)
Die Zahl L heißt dann eine Lipschitz-Konstante für f.
Ist f Lipschitz-stetig, so ist die Änderung der Funktionswerte also linear beschränkt in der Änderung der Argumente, und zwar uniform über den gesamten Definitionsbereich der Funktion. Die Lipschitz-Stetigkeit ist im Vergleich zu den anderen Stetigkeitsbedingungen sehr einfach gebaut. Es gibt nur zwei Allquantoren für Punkte in P, und die Beziehung zwischen den Abständen |f (x) − f (p)| und |x − p| wird durch eine einfache Ungleichung geregelt. Der Leser vergleiche dies mit der ε-δ-Stetigkeit und der gleichmäßigen Stetigkeit.
Dividieren wir die Lipschitz-Ungleichung für p ≠ x durch |x − p|, so steht links der Betrag eines Differenzenquotienten. Dies ermöglicht eine anschaulichen Erklärung der Lipschitz-Stetigkeit (vgl. das folgende Diagramm).
Diagramm zur gleichmäßigen ε-δ-Bedingung:
Für jedes ε gibt es ein „universell gutes“ δ: Der Graph von f verläuft für jedes p im grauen Rechteck der Breite 2δ und Höhe 2ε mit dem Mittelpunkt (p, f (p)).
Bei der punktweisen ε-δ-Bedingung kann die Breite δ eines Rechtecks in Abhängigkeit von ε und p gewählt werden, sodass diese Bedingung leichter zu erfüllen ist.
Diagramm zur Lipschitz-Bedingung:
Die Geraden g und h durch (p, f (p)) mit den Steigungen L bzw. −L definieren den grauen Bereich. Der Graph von f verläuft, abgesehen von der Stelle p, innerhalb dieses Bereichs. Gilt dies für alle p, so ist f Lipschitz-stetig mit der Lipschitz-Konstanten L. Stellen wir uns Bereich als zweiseitigen Lichtkegel mit einem durch L definierten Öffnungswinkel vor, so ist, wo immer wir den Kegel auch anlegen, der ganze Graph der Funktion sichtbar.
Zur Hierarchie der Stetigkeitsbegriffe
Die gleichmäßige Stetigkeit ist aus logischen Gründen eine Verstärkung der Stetigkeit. Dass die Lipschitz-Stetigkeit eine Verstärkung der gleichmäßigen Stetigkeit ist, zeigt, gegeben ε > 0, die Wahl
δ = εL
mit einer Lipschitz-Konstanten L > 0 für f : P → ℝ. Denn mit diesem δ gilt:
|f (x) − f (p)| ≤ L |x − p| < L δ = ε für alle x, p ∈ P mit |x − p| < δ.
Damit bestehen die folgenden Implikationen:
f Lipschitz-stetig ↷ f gleichmäßig stetig ↷ f stetig
Die Umkehrungen gelten im Allgemeinen nicht:
Beispiele
(1) | Die Funktion f : ] 0, 1 ] → ℝ mit f (x) = 1/x für alle x ∈ ] 0, 1 ] ist stetig, aber nicht gleichmäßig stetig. |
(2) | Die Funktion g : [ 0, 1 ] → ℝ mit g(x) = für alle x ∈ [ 0, 1 ] ist gleichmäßig stetig, aber nicht Lipschitz-stetig. |
Einen weiteren Stetigkeitsbegriff, der das Bild noch einmal verfeinert, besprechen wir im Ausblick dieses Kapitels.