Die allgemeine Exponentialfunktion

 Mit Hilfe der Logarithmusfunktion können wir nun eine Exponentialfunktion für eine beliebige positive Basis a einführen. Zur Motivation der Definition stellen wir einige Überlegungen voran.

 Ziel ist die Definition einer Exponentiation ax für möglichst viele reelle Zahlen a und x. Sollen die üblichen Rechengesetze gelten, so ist

a  =  a1  =  a1/2 · a1/2  =  (a1/2)2  ≥  0.

Weiter werden wir 00 = 1 und 0x = 0 für alle x > 0 definieren wollen, sodass das Problem sich auf die Definition von ax für eine Basis a > 0 und einen beliebigen Exponenten x  ∈   konzentriert. Sei also a > 0. Dann gibt es ein b  ∈   mit eb = a. Dann gilt

ax  =  (eb)x  =  ex b,

wenn wir wieder die üblichen Rechengesetze unterstellen. Wegen eb = a ist aber b = log(a), und damit ist notwendig ax = ex log(a).

 Auf die Form ax = ex log(a) kommt man auch durch folgende Überlegung: Es gilt log(an) = n log(a) für alle ganzen Zahlen n. Wollen wir, dass log(ax) = x log(a) für alle x gilt, so ist notwendig

ax  =  elog(ax)  =  ex log(a).

Damit ist folgende Definition keine Überraschung mehr:

Definition (Exponentialfunktion zu einer positiven Basis, expa, ax)

Sei a > 0. Dann definieren wir:

expa(x)  =  ex log(a)  für alle x  ∈  .

Die Funktion expa :    heißt die Exponentialfunktion zur Basis a.

Wir schreiben auch ax anstelle von expa(x).

analysis1-AbbID94

 Offenbar ist expe = exp. Weiter gilt für alle a > 0 und n  ∈  :

expa(n)  =  exp(n log(a))  =  exp(log(an))  =  an,

sodass die Notation ax die aus den Körperaxiomen stammende Notation an für ganzzahlige Exponenten n erweitert. Allgemeiner gilt dies für die mit Hilfe der Wurzelfunktionen eingeführte Notation an/m mit n  ∈  , m ≥ 1:

expa(n/m)  =  exp(n/m log(a))  =  exp(log(an/m))  =  an/m  =  man.

 Für die Exponentialfunktionen expa lautet unsere Sammlung von Eigenschaften:

Satz (Eigenschaften der Exponentialfunktionen expa)

Sei a > 0. Dann gilt für die Funktion expa :   :

(a)

expa ist stetig. exp1 ist konstant gleich 1. expa ist streng monoton steigend, falls a > 1, und streng monoton fallend, falls a < 1.

(b)

ax + y  =  ax · ay  für alle x, y  ∈  . (Additionstheorem)

(c)

exp1[  ]  =  { 1 },  expa[  ]  =  ] 0, ∞ [ für a ≠ 1. Dabei gilt 

0 < ax < 1 für alle x < 0,  a0  =  1,  ax > 1 für alle x > 0,  falls a > 1,

ax > 1 für alle x < 0,  a0  =  1,  0 < ax < 1 für alle x > 0,  falls a < 1.

(d)

lim 0, x ≠ 0 (ax − 1)/x  =  log(a).

(e)

lim ∞ ax/xk  =  ∞,  lim ∞ xk/ax  =  0  für alle k  ∈  ,  falls a > 1,

lim ∞ ax/xk  =  0,  lim ∞ xk/ax  =  ∞  für alle k  ∈  ,  falls a < 1.

 Es gelten die vertrauten Potenzregeln in verallgemeinerter Form:

Satz (Rechenregeln für die Exponentiation)

Seien a, b > 0. Dann gilt für alle x, y  ∈  :

(a)

ax ay  =  ax + y,    (ax)y  =  ax y, 

a−x  =  (ax)−1,    ax bx  =  (a b)x,

(b)

log(ax)  =  x log(a),  alog(b)  =  blog(a).

 Insgesamt haben wir mit Hilfe der Exponentialfunktion exp und ihrer Umkehrfunktion log eine Exponentiation ax für a > 0 und x  ∈   eingeführt. Wir können diese Exponentiation als eine Funktion Ex : ] 0, ∞ [ ×    mit Ex(a, x) = ax auffassen, eine „fünfte Grundrechenart“.

Der zweite Weg

 Eine alternative Methode der Definition von ax ist, die Exponentiation für rationale Exponenten durch stetige Fortsetzung auf reelle Exponenten zu erweitern. Man weist hierzu nach, dass für jedes a > 0 die Funktion

fa :   ,  fa(q)  =  aq  für alle q  ∈  

die Voraussetzungen des Fortsetzungssatzes für stetige monotone Funktionen auf  erfüllt. Damit lässt sich fa zu einer stetigen Funktion ha auf  fortsetzen. Wir setzen nun ax = ha(x) für alle x. Unsere Konstruktion lautet also insgesamt

ax  =  lim x, q  ∈   aq  für alle a > 0, x  ∈  .

Stetigkeitsargumente zeigen, dass die Exponentiationsregeln gelten. Man setzt

e  =  limn ≥ 1 (1 + 1/n)n

und definiert die Exponentialfunktion via exp(x) = ex für alle x  ∈  , also als Exponentiation zur Basis e. Die Reihendarstellung wird a posteriori bewiesen.

 In einem Aufbau der Analysis wird heute zumeist die Definition ax = ex log(a) verwendet. Die durch eine Reihe definierte Exponentialfunktion steht im Zentrum und wird konsequent als „Generator“ für weitere Funktionen eingesetzt.