Die Ableitung der Umkehrfunktion
Die letzte Regel unseres Kalküls ist:
Satz (Ableitung der Umkehrfunktion)
Sei f : P → ℝ injektiv und differenzierbar in p ∈ P mit f ′(p) ≠ 0. Weiter sei g = f −1 stetig in q = f (p). Dann ist g differenzierbar in q und es gilt
g′(q) = 1f ′(p) = 1f ′(g(q)).
Insbesondere ist f −1 differenzierbar, falls P ein Intervall und f : P → ℝ streng monoton und differenzierbar ist.
Der Satz ist geometrisch plausibel: Die Umkehrfunktion g von f ergibt sich durch Spiegelung von f an der Winkelhalbierenden. Eine Gerade mit Steigung a wird durch diese Spiegelung zu einer Geraden mit Steigung 1/a. Schmiegt sich also eine Gerade mit Steigung a im Punkt (p, f (p)) an f an, so schmiegt sich eine Gerade mit Steigung 1/a im Punkt (f (p), p) an g an. Also ist g′(f (p)) = 1/f ′(p).
Beweis
Sei Q der Wertebereich von f. Da p ein Häufungspunkt von P ist, gibt es eine gegen p konvergente Folge (xn)n ∈ ℕ in P − { p }. Aber f ist injektiv und stetig in p, und daher konvergiert (f (xn))n ∈ ℕ gegen q in Q − { q }. Also ist q ein Häufungspunkt von Q. Es bleibt zu zeigen:
limy → q g(y) − g(q)y − q = 1f ′(p).
Sei hierzu (yn)n ∈ ℕ eine Folge in Q − { q } mit limn yn = q. Weiter sei xn = g(yn) für alle n, sodass f (xn) = yn für alle n. Da g stetig in q ist, gilt
limn xn = limn g(yn) = g(limn yn) = g(q) = p.
Dann gilt aber
limn g(yn) − g(q)yn − q = limn xn − pf (xn) − f (p) = 1f ′(p).
Damit ist also g differenzierbar in q und es gilt die Formel des Satzes.
Der Zusatz folgt aus dem Satz über die Stetigkeit der Umkehrfunktion.
Die Ableitung des Logarithmus
Mit Ableitungsregel für die Umkehrfunktion können wir nun die Lücke „1/x“ schließen, die in den Ableitungen d/dx xn = n xn − 1 mit n ∈ ℤ* = ℤ − { 0 } auftritt.
Satz (Ableitung des Logarithmus)
Die Funktion log : ] 0, ∞ [ → ℝ ist differenzierbar, und es gilt
ddx log|x| = 1x für alle x ≠ 0.
Beweis
exp : ℝ → ℝ ist streng monoton und differenzierbar mit exp′ = exp.
Nach dem Satz über die Ableitung der Umkehrfunktion gilt also:
ddx log(x) = 1exp′(log(x)) = 1exp(log(x)) = 1x für alle x > 0.
Die Behauptung für x < 0 folgt aus der Kettenregel.
Wir erhalten also die Ableitungstabelle
… | −x−2/2 | −x−1 | log |x| | x1 | x2/2 | x3/3 | … |
… | x−3 | x−2 | x−1 | x0 | x1 | x2 | … |
Der Logarithmus nimmt eine zeitlos bemerkenswerte Sonderrolle ein und wirkt wie ein Kuckucksei in einem Nest voller Polynome.
Die Ableitung der Arkusfunktionen
Auch die Arkusfunktionen können wir mit Hilfe der Regel für die Umkehrfunktion leicht ableiten. Exemplarisch betrachten wir hier:
Satz (Ableitung des Arkussinus und Arkuskosinus)
arcsin, arccos : [ −1, 1 ] → ℝ sind in ] −1, 1 [ differenzierbar und dort gilt
ddx arcsin x = , ddx arccos x = − .
Beweis
Wir zeigen die Aussage für arcsin. Der Beweis für arccos ist analog.
Die Funktion sin0 : [ −π/2, π/2 ] → ℝ ist streng monoton und differenzierbar mit sin0′(x) = cos(x). Die Formel cos(arcsin x) = (1 − x2)1/2 liefert nun
ddx arcsin x = 1cos(arcsin x)) = für alle x ∈ ] −1, 1 [.