E5
Die Dezimaldarstellung reeller Zahlen, II

 Mit Hilfe des Begriffs der unendlichen Reihe wollen wir nun die in den Ergänzungen E2 eingeführten Dezimalbrüche noch genauer untersuchen. Dort hatten wir einen unendlichen Dezimalbruch n, a1 a2 … mit einer natürlichen Zahl n und Dezimalziffern a1, a2, …  ∈  { 0, …, 9 } als das Supremum der Menge seiner endlichen Approximationen definiert:

n, a1 a2 a3 …  =  sup { n, a1 … ak | k ≥ 1 }.

Nach Definition gilt dabei

n, a1 … ak  =  n  +  1 ≤ i ≤ k ai/10i

für die Näherungsbrüche. Mit Hilfe des Begriffs der unendlichen Reihe lässt sich diese Summenform auf die unendlichen Dezimalbrüche übertragen:

Ergänzungsübung 1

Zeigen Sie, dass für alle unendlichen Dezimalbrüche n, a1 a2 a3 … gilt:

n, a1 a2 …  =  n  +  k ≥ 1 ak/10k.

 Die Aussage der Übung wird oft auch zur Definition unendlicher Dezimalbrüche verwendet. In diesem Fall ist ein unendlicher Dezimalbruch dann die konvergente Reihe n + k ≥ 1 ak/10k und bezeichnet also wie üblich sowohl eine bestimmte Folge als auch eine bestimmte reelle Zahl. (Bei der Definition über Suprema ist die Notation n, a1 a2 a3 δ wie diskutiert ebenfalls zweideutig: Als formaler Ausdruck kann n, a1 a2 a3 … als (n, (a1, a2, a3, …)) aufgefasst werden, und daneben bezeichnet n, a1 a2 a3 … die reelle Zahl sup { n, a1 … ak | k ≥ 1 }.)

 In jedem Falle sind unendliche Dezimalbrüche im Umfeld des Grenzwertbegriffs einzuordnen:

n, a1 a2 a3 …  =  sup { n, a1 … ak | k ≥ 1 }  =  limk n, a1 … ak  =  n  +  k ≥ 1 ak/10k.

Die reelle Zahl n, a1 a2 a3 … ist ein Supremum einer gewissen Menge rationaler Zahlen oder ein Grenzwert einer gewissen Folge rationaler Zahlen. Eine genauere Erklärung, warum 0,999… = 1 ist und nicht noch „immer etwas fehlt“, kommt um den Supremums- oder Grenzwertbegriff letztendlich nicht herum. Dabei lässt sich die Gleichheit von 0,999… = 1 bereits innerhalb der rationalen Zahlen diskutieren. Endliche Dezimalbrüche (oder allgemeiner endliche b-adische Brüche) lassen sich in jedem angeordneten Körper definieren. Die Vollständigkeit der reellen Zahlen führt dazu, dass in  jeder unendliche Dezimalbruch n, a1 a2 … existiert. Aber auch in  existieren gewisse unendliche Dezimalbrüche n, a1 a2 … Ein Beispiel ist gerade 0,999… Wir wollen uns dies noch einmal explizit überlegen:

Ergänzungsübung 2

Für alle k ≥ 1 sei xk = 0,9…9 mit k Neunen. Zeigen Sie unter Verwendung der Supremums- oder Reihendefinition, dass 0,999… = 1.

Isolieren Sie dabei die Kernpunkte Ihrer Argumentation.

 Offen sind an dieser Stelle noch die beiden folgenden Fragen:

Welche unendlichen Dezimalbrüche n, a1 a2 … sind rationale Zahlen?

Welche reellen Zahlen besitzen mehr als eine Dezimaldarstellung?

 Wir beginnen mit der Untersuchung der ersten der beiden Fragen. Einige einfache Berechnungen suggerieren, dass bei der Dezimaldarstellung rationaler Zahlen Nachkommaziffern, die sich periodisch wiederholen, eine wichtige Rolle spielen. Wir nennen einen unendlichen Dezimalbruch periodisch mit der Periode c1 … cm der Länge m, falls er von der Form

n, a1 … ak c1 … cm c1 … cm c1 … cm

ist, also in der unendlichen Wiederholung des Ziffernblocks c1 … cm endet. (Hierbei ist k = 0, also die Form n, c1 … cm c1 … cm c1 … cm …, möglich.) Wir schreiben dann auch

n, a1 … ak c1 … cm (Periodennotation)

für diesen Dezimalbruch. So gilt beispielsweise

0,999…  =  0,9 ;  1/7  =  0,142857 ;  0,67121212…  =  0,6712  =  0,671212 ; 

2,5  =  2,50  =  2,500.

 Eine Periode c1 … cm heißt echt, falls sie nicht nur aus Nullen besteht. Weiter heißt sie minimal, falls sie nicht von der Form d1 … dj d1 … dj … d1 … dj ist, d. h. nicht aus endlich vielen Wiederholungen eines kürzeren Ziffernblocks besteht. So gilt zum Beispiel 0,13 = 0,133 mit den Perioden 3 und 33, aber nur die Periode 3 ist minimal. Minimale Perioden sind im Allgemeinen nicht eindeutig bestimmt, da zum Beispiel 12 und 21 minimale Perioden von 0,12 und 0,121 sind.

 Es gilt nun die folgende ansprechende Äquivalenz:

Ergänzungsübung 3

Zeigen Sie, dass die folgenden Aussagen für alle x  ∈   äquivalent sind:

(a)

x ist rational.

(b)

x besitzt eine periodische Dezimaldarstellung.

[ Hinweis: Verwenden Sie die geometrische Reihe für „(b) impliziert (a)“. ]

 Die zweite Frage nach der Eindeutigkeit der Darstellung können wir ebenfalls vollständig beantworten:

Ergänzungsübung 4

Zeigen Sie:

(a)

Jede reelle Zahl x besitzt höchstens eine endliche Dezimaldarstellung, die nicht in der Ziffer 0 endet. Besitzt x ≠ 0 eine endliche Dezimaldarstellung, so besitzt x auch eine unendliche Dezimaldarstellung mit der Periode 9.

(b)

Jede reelle Zahl x besitzt höchstens zwei verschiedene unendliche Dezimaldarstellungen. Besitzt x zwei verschiedene unendliche Dezimaldarstellungen, so hat die eine die Periode 0 und die andere die Periode 9. Insbesondere ist dann x eine rationale Zahl.

(c)

Ist x = n/m, n  ∈  , m  ∈  *, ein gekürzter Bruch, so besitzt x genau dann eine endliche Dezimaldarstellung, wenn m von der Form 2a 5b für a, b  ∈   ist.

 Analoge Aussagen gelten für b-adische Darstellungen. Für b = 2 sind zum Beispiel 1,000… und 0,111… die beiden unendlichen Dualdarstellungen der Zahl 1, und genau die rationalen Zahlen m/2a besitzen eine endliche Dualdarstellung.

 Dezimaldarstellungen lassen sich noch vielfältig weiter studieren. Eine interessante Beobachtung ist zum Beispiel:

(a)

Die Zahl 7 ist kein Teiler von 9, 99, 999, 9999, 99999.

(b)

Die Zahl 7 ist ein Teiler von 999999.

(c)

Die Länge jeder minimalen Periode von 1/7 ist 6.

 Ebenso ist 11 kein Teiler von 9, aber ein Teiler von 99, und die Länge der minimalen Perioden von 1/11 = 0,090909… ist 2. Allgemein gilt:

Ergänzungsübung 5

Sei p ≥ 3 eine natürliche Zahl, die nicht durch 2 und nicht durch 5 teilbar ist. Sei k1 die Länge einer minimalen Periode der Dezimaldarstellung von 1/p, und sei k2 die kleinste natürliche Zahl k ≥ 1 mit der Eigenschaft:

(+)  p ist ein Teiler von 9 … 9, mit k Neunen.

Zeigen Sie, dass k1 = k2.

[ zu k2 ≤ k1: Ist k die Länge einer Periode von 1/p, so gilt für ein geeignetes m 10m/p  =  n + 0, a1 … ak  =  n + a/(10k − 1), wobei a die aus den Ziffern a1 … ak gebildete Dezimalzahl ist. Hieraus lässt sich folgern, dass p ein Teiler von 10k − 1 ist. ]

 Es ist ein offenes Problem, ob es unendlich viele Primzahlen p ≥ 2 gibt derart, dass die Länge jeder minimalen Periode von 1/p in Dezimaldarstellung gleich p − 1 ist (wie etwa bei 1/7, nicht aber bei 1/11). Dies folgt aus der sog. Artinschen Vermutung von 1927, die bislang nur mit Hilfe einer Verstärkung der Riemannschen Vermutung bewiesen werden konnte.