Relativbegriffe

 Wir wollen unsere Begriffsbildungen nun noch von  auf eine beliebige Punktmenge P ⊆  relativieren. Der Leser denke hierbei zum Beispiel wieder an ein Intervall oder eine Vereinigung von Intervallen. Die Menge P ist ein reduziertes „Universum“, dessen Teilmengen wir untersuchen. In den Stetigkeitsformulierungen wird P der Definitionsbereich einer reellen Funktion sein.

Definition (relativ offene Mengen)

Sei P ⊆ . Dann heißt ein V ⊆ P offen in P oder relativ offen bzgl. P, falls ein offenes U ⊆  existiert mit V = U ∩ P.

 Beispielsweise ist [ 0, 1 [ offen in P = [ 0, 2 ], da [ 0, 1 [ = ] −1, 1 [ ∩ P. Dagegen ist [ 0, 1/2 ] nicht offen in [ 0, 2 ]. Für alle P ⊆  ist P offen in P, da P = P ∩  für die offene Menge  gilt. Auch die leere Menge ist stets offen in P. Allgemein übernimmt das Mengensystem

𝒱  =  { U ∩ P | U  ∈  𝒰 }  =  { U ∩ P | U ist offen in  }

die Rolle der offenen Mengen. Ist P = , so fällt die Offenheit von U in P mit der Offenheit von U zusammen. Dies gilt für alle folgenden Relativierungen.

 An die Stelle der ε-Umgebungen Uε(p) treten die entsprechenden Schnitte mit der Grundmenge P. Setzen wir

UPε(p)  =  Uε(p)  ∩  P, (relative ε-Umgebung von p)

so ist eine Menge U ⊆ P genau dann offen in P, wenn für alle p  ∈  U ein ε > 0 existiert mit UPε(p) ⊆ U.

 Alle anderen topologischen Begriffsbildungen leiten sich nun wie früher aus dem Begriff der offenen Menge ab. Der Umgebungsbegriff relativiert sich zum Beispiel wie folgt:

Definition (relative Umgebungen)

Sei P ⊆ . Weiter seien N ⊆ P und p  ∈  P. Dann heißt N eine Umgebung von p in P oder relativ zu P, falls ein in P offenes U existiert mit p  ∈  U ⊆ N.

Ist N offen in P, so heißt N eine offene Umgebung von p in P.

 Gleichwertig zur Existenz eines relativ offenen U mit p  ∈  U ⊆ N ist die Existenz eines ε > 0 mit UPε(p) ⊆ N. Relative Umgebungen eines Punktes enthalten also wieder eine offene ε-Umgebung, wobei die ε-Umgebung aus der Sicht der Menge P betrachtet wird.

 Ist P offen, so fallen die relative Offenheit und der relative Umgebungsbegriff mit den Begriffen für  zusammen: Die in P offenen Mengen sind in diesem Fall genau die offenen Teilmengen von P, und die Umgebungen eines p  ∈  P relativ zu P sind genau die Umgebungen von p, die Teilmengen von P sind.

 Relativ abgeschlossene Mengen können wir wieder über Komplemente einführen:

Definition (relativ abgeschlossene Mengen)

Sei P ⊆ . Dann heißt ein A ⊆ P abgeschlossen in P oder relativ abgeschlossen bzgl. P, falls P − A offen in P ist.

 Beispielsweise sind ] 0, 1/2 ] und { 1/n | n  ≥  1 } abgeschlossen in P = ] 0, 1 ] und ebenso in Q = [ −1, 1 ] − { 0 }. Der Punkt 0 „fehlt“ diesen Mengen nur aus der Sicht von , aus der Sicht von P oder Q gibt es diesen Punkt nicht.

 Gleichwertig zur Abgeschlossenheit von A in P ist die Existenz einer abgeschlossenen Menge B ⊆  mit A = B ∩ P. Denn es gilt:

A ist abgeschlossen in P genau dann, wenn
es gibt ein offenes U ⊆  mit P − A  =  U ∩ P genau dann, wenn
es gibt ein abgeschlossenes B ⊆  mit P − A  =  ( − B) ∩ P genau dann, wenn

es gibt ein abgeschlossenes B ⊆  mit A  =  B ∩ P.

Aus der Schnitt-Darstellung folgt, dass für alle Q ⊆ P die Menge cl(Q) ∩ P die kleinste in P abgeschlossene Obermenge von Q ist. Damit ist ein A ⊆ P genau dann abgeschlossen in P, wenn

A  =  cl(A)  ∩  P  =  (A ∪ A′)  ∩  P  =  A  ∪  (A′ ∩ P),

d. h., wenn A′ ∩ P ⊆ A. Es gilt also folgende Häufungspunkt-Charakterisierung:

Ein A ⊆ P ist genau dann abgeschlossen in P, wenn jeder Häufungspunkt von A, der in P liegt, zu A gehört.

Gleichwertig ist, dass jede Folge in A, die in P konvergiert, einen Grenzwert in A besitzt. Für P = ] 0, 1 ] und die in P abgeschlossene Menge A = ] 0, 1/2 ] ist diese Bedingung für eine Nullfolge (xn)n ∈  in P nicht verletzt, da eine solche Folge in P nicht konvergiert.

 Auch die topologischen Operatoren lassen sich nach P relativieren, indem wir in den Definitionen die Relativbegriffe einsetzen. Wir erhalten so Operatoren intP, (·)′P, clP, bdP : (P)  (P). Für alle Q ⊆ P gilt

intP(Q) =  { p  ∈  P | Q ist eine Umgebung von p in P }
=  { p  ∈  P | es gibt ein ε > 0 mit UPε(p) ⊆ Q },
Q′P =  Q′  ∩  P,
clP(Q) =  Q  ∪  Q′P  =  cl(Q)  ∩  P,
bdP(Q) =  clP(Q)  −  intP(Q).

Für die Operatoren intP und bdP gilt keine Schnittdarstellung wie für die relative Ableitung und den relativen Abschluss. Für P = [ 0, 1 ] ist zum Beispiel

intP([ 0, 1 ])  =  [ 0, 1 ]  ≠  ] 0, 1 [  =  int([ 0, 1 ])  ∩  P,

bdP([ 0, 1 ])  =  ∅  ≠  { 0, 1 }  =  bd([ 0, 1 ])  ∩  P.

Allgemein gilt intP(P) = clP(P) = P und damit bdP(P) = ∅. Eine offene und zugleich abgeschlossene Menge besitzt keine Randpunkte.