Konvergenz und Vollständigkeit in metrischen Räumen
Unser Konvergenzbegriff für Folgen in ℝ überträgt sich problemlos auf metrische Räume. Wir müssen lediglich |x − y| durch d(x, y) ersetzen.
Definition (Grenzwert einer Folge)
Der Grenzwert s einer Folge (xn)n ∈ ℕ: Für jedes ε > 0 haben höchstens endlich viele xn einen Abstand größergleich ε von x.
Sei (X, d) ein metrischer Raum, und sei (xn)n ∈ ℕ eine Folge in X. Dann heißt ein x ∈ X ein Limes oder Grenzwert von (xn)n ∈ ℕ, falls gilt:
∀ε > 0 ∃n0 ∀n ≥ n0 d(x, xn) < ε.
Eine Folge (xn)n ∈ ℕ in X heißt konvergent in (X, d), falls ein Grenzwert der Folge existiert. Andernfalls heißt sie divergent in (X, d).
Aus der Dreiecksungleichung folgt wieder, dass ein Grenzwert einer Folge im Fall der Existenz eindeutig bestimmt ist. Wir schreiben wie gewohnt
x = limn → ∞ xn = limn xn.
Genauer kann man limdn xn = x schreiben, um die verwendete Metrik zu betonen.
Aus der Definition ergibt sich folgende Äquivalenz:
limn xn = x genau dann, wenn limn d(xn, x) = 0.
Auf der rechten Seite wird der Grenzwertbegriff für ℝ verwendet (für die Folge (yn)n ∈ ℕ in [ 0, ∞ [ mit yn = d(xn, x) für alle n). Der metrische Konvergenzbegriff kann also auf den reellen Konvergenzbegriff zurückgeführt werden.
Die Verdichtungseigenschaft einer reellen Cauchy-Folge und und die metrische Vollständigkeit von ℝ lassen sich ebenfalls verallgemeinern:
Definition (Cauchy-Folge)
Sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Folge (xn)n ∈ ℕ in X heißt eine Cauchy-Folge in (X, d), falls gilt:
∀ε > 0 ∃n0 ∀n, m ≥ n0 d(xn, xm) < ε.
Definition (metrische Vollständigkeit)
Ein metrischer Raum (X, d) heißt (metrisch) vollständig, falls jede Cauchy-Folge in (X, d) konvergiert.
Beispiel 1
Sei n ≥ 1. Eine Folge (xk)k ∈ ℕ im ℝn kovergiert unter deuk genau dann gegen ein x, wenn für alle 1 ≤ i ≤ n die Folge der i-ten Koordinaten der xk gegen die i-te Koordinate von x in ℝ konvergiert. Gleiches gilt für dmax und dσ.
ℝn ist unter den Metriken deuk, dmax, dσ vollständig.
Beispiel 2
Für die euklidische Metrik gilt: Der Teilraum ℚ von ℝ ist unvollständig, der Teilraum [ 0, 1 ] ist vollständig. Allgemein ist für alle n ≥ 1 eine Menge P ⊆ ℝn genau dann vollständig, wenn P abgeschlossen ist.
Beispiel 3
Sei X = ] − π/2, π/2 [. Dann ist X unter der euklidischen Metrik unvollständig. Dagegen ist X unter der Tangensmetrik
d(x, y) = |tan(x) − tan(y)| für alle x, y ∈ X
vollständig. Folgen in X, die in ℝ gegen −π/2 oder π/2 konvergieren, sind in X unter der Tangensmetrik keine Cauchy-Folgen mehr. Jedoch konvergiert eine Folge (xn)n ∈ ℕ in (X, d) genau dann gegen ein x ∈ X, wenn die Folge unter der euklidischen Metrik gegen x konvergiert. Die Vollständigkeit eines metrischen Raums kann also, bei Übereinstimmung des erzeugten Konvergenz- und Grenzwertbegriffs, von der Metrik abhängen.
Beispiel 4
Der Vektorraum V = 𝒞([ 0, 1 ]) mit der von der Supremumsnorm induzierten Metrik d ist vollständig, und die Konvergenz einer Folge (fn)n ∈ ℕ ist die gleichmäßige Konvergenz. Ist nämlich (fn)n ∈ ℕ eine Cauchy-Folge in (V, d), so ist die Folge (fn(x))n ∈ ℕ für alle x ∈ [ 0, 1 ] eine Cauchy-Folge in ℝ (unter der euklidischen Metrik), und damit konvergiert die Folge punktweise gegen ein f : [ 0, 1 ] → ℝ. Gilt nun
d(fn, fm) = supx ∈ [ 0, 1 ] |fn(x) − fm(x)| < ε für alle n, m ≥ n0,
so gilt für alle x ∈ [ 0, 1 ] und alle n ≥ n0:
|f (x) − fn(x)| = | limm fm(x) − fn(x) | = limm |fm(x) − fn(x) | ≤ ε.
Also ist die Konvergenz gleichmäßig und damit ist f stetig.
Beispiel 5
Die Produktmetriken dmax und dσ auf X = X1 × … × Xn sind im Allgemeinen verschieden, aber sie besitzen dieselben konvergenten Folgen und Grenzwerte: Für alle x ∈ X und (xn)n ∈ ℕ in X gilt x = limn xn unter dmax genau dann, wenn x = limn xn unter dσ. Die Konvergenz ist wie für den Spezialfall X = ℝn die koordinatenweise Konvergenz (bzgl. dk in Xk). Sind alle (Xk, dk) vollständig, so sind auch (X, dmax) und (X, dσ) vollständig.