Stetigkeit in metrischen Räumen
Die Limes- und die ε-δ-Stetigkeit einer Funktion lassen sich für metrische Räume (X, d) und Funktionen f : X → ℝ ohne Modifikation übernehmen. Allgemeiner können wir diese Begriffe für Funktionen erklären, die zwischen metrischen Räumen vermitteln:
Definition (Limesstetigkeit)
Seien (X, d) und (Y, e) metrische Räume, und sei f : X → Y. Weiter sei p ∈ X. Dann heißt f stetig oder limesstetig im Punkt p, falls für alle gegen p konvergenten Folgen (xn)n ∈ ℕ in X gilt:
f (p) = limn f (xn).
f heißt stetig oder limesstetig, falls f stetig in allen p ∈ X ist.
Die Stetigkeit von f : X → Y bedeutet also wie bisher, dass wir Limesbildung und Funktionsauswertung vertauschen dürfen:
f(limn xn) = limn f (xn) für alle konvergenten Folgen (xn)n ∈ ℕ in X.
Auf der linken Seite wird die Metrik d von X zur Bestimmung des Limes verwendet, auf der rechten Seite dagegen die Metrik e von Y. Um die Notation einfach zu halten, unterdrückt man oft die Angabe der Metriken, sobald sie aus dem Kontext heraus klar sind. Umgekehrt kann man eine Funktion f : X → Y zwischen metrischen Räumen (X, d) und (Y, e) zur Verdeutlichung auch in der Form
f : (X, d) → (Y, e)
notieren. Speziell klärt die Notation f : (X, d) → (X, e) die Verhältnisse, wenn zwei Metriken d und e auf derselben Menge X betrachtet werden.
Auch die Umgebungsstetigkeit lässt sich allgemein definieren:
Definition (Umgebungs- oder ε-δ-Stetigkeit)
Sei f : (X, d) → (Y, e), und sei p ∈ X. Dann heißt f umgebungs- oder ε-δ-stetig im Punkt p, falls gilt:
∀ε > 0 ∃δ > 0 ∀x ∈ X (d(x, p) < δ → e(f (x), f (p)) < ε).
Wie früher zeigt man:
Satz (Äquivalenz der Limes- und der ε-δ-Stetigkeit)
Sei f : (X, d) → (Y, e), und sei p ∈ X. Dann ist f genau dann limesstetig im Punkt p, wenn f umgebungsstetig im Punkt p ist.
Die folgenden Diagramme visualisieren den typischen Verlauf eines Beweises der ε-δ-Stetigkeit in einem Punkt und die damit verbundenen Vorstellungen.
Gegeben ist ein Punkt p in X (➀). Wir betrachten nun den Bildpunkt f (p) ∈ Y (➁) sowie, für ein beliebig vorgegebenes ε > 0, die Menge
U = { y ∈ Y | e(y, f (p)) < ε } (➂).
Bis hierhin war nichts zu tun. Das eigentliche Argument kommt erst jetzt:
Wir definieren mit Blick auf ε und f ein (hoffentlich geeignetes) δ > 0 und setzen
V = { x ∈ X | d(x, p) < δ } (➃).
Die Menge V transportieren wir mit f nach Y, d. h., wir betrachten ihr Bild
W = f[ V ] = { f (x) ∈ Y | x ∈ V } (➄).
Wir zeigen nun, dass W ⊆ U. Hierzu ist für jedes Element y von W zu beweisen, dass e(y, f (p)) < ε. Gelingt dies, sind wir fertig. Andernfalls verkleinern wir δ.
Bei der Limesstetigkeit wird eine Folge (xn)n ∈ ℕ in X mit limn xn = p und eine Menge U ⊆ Y wie eben betrachtet. Nun ist zu zeigen, dass fast alle Glieder der Bildfolge (f (xn))n ∈ ℕ in U liegen. Hierzu ist ein n0 zu definieren und für alle n ≥ n0 zu zeigen, dass e(f (xn), f (p)) < ε.
Die Stetigkeit lässt sich mit Hilfe metrischer Begriffe in vielen Varianten formulieren. So gilt zum Beispiel die folgende Charakterisierung:
Satz (Durchmesser der Bilder)
Seien f : (X, d) → (Y, e) und p ∈ X. Dann sind äquivalent:
(a) | f ist stetig im Punkt p. |
(b) | ∀ε > 0 ∃δ > 0 diam({ f (x) | x ∈ X, d(x, p) < δ }) < ε. |
Weitere Formulierungen der Stetigkeit werden wir kennenlernen, sobald wir unsere topologischen Betrachtungen für ℝ auf allgemeine metrische Räume übertragen haben.
Viele vertraute Eigenschaften stetiger reeller Funktion gelten für alle stetigen Funktionen zwischen metrischen Räumen. So zeigt man zum Beispiel wie früher, dass die Verknüpfung g ∘ f zweier stetiger Funktionen
f : (X1, d1) → (X2, d2) und g : (X2, d2) → (X3, d3)
wieder stetig ist. Auch wenn sich Vieles ohne Probleme von ℝ auf metrische Räume verallgemeinert, so muss man doch genau beobachten, ob nicht spezielle Eigenschaften von ℝ − vor allem das Vorhandensein einer vollständigen linearen Ordnung − im Spiel sind, die einer Verallgemeinerung entgegenstehen. So hatten wir für ℝ zum Beispiel gezeigt, dass eine auf einem Intervall definierte streng monoton steigende Funktion f automatisch eine stetige Umkehrfunktion besitzt (f musste hierzu nicht einmal stetig sein). Der Leser vergleiche dies mit der auf einem halboffenen Intervall definierten Kreisaufwicklung:
Beispiel
jeweils versehen mit der euklidischen Metrik in ℝ bzw. ℝ2. Weiter sei f : X → K definiert durch
f (x) = ei x für alle x ∈ X.
Dann ist f : X → K bijektiv und stetig, aber die Umkehrfunktion f −1 von f hat eine Unstetigkeitsstelle im Punkt
p = f (0) = 1 = (1, 0).
Kreisaufwicklung eines halboffenen Intervalls. Die Zahlen entsprechen Punkten x und ihren Bildern f (x). Die Umkehrfunktion f −1 ist bijektiv, aber unstetig im mit 0 bezeichneten Punkt des Kreises.