Der Banachsche Fixpunktsatz

 Die Lipschitz-Stetigkeit einer Funktion kann allgemein für metrische Räume erklärt werden:

Definition (Lipschitz-Stetigkeit)

Ein f : (X, d)  (Y, e) heißt Lipschitz-stetig oder dehnungsbeschränkt mit einer Lipschitz-Konstanten L ≥ 0, falls

e(f (x), f (y))  ≤  L d(x, y)  für alle x, y  ∈  X.

 Die Lipschitz-Stetigkeit einer Funktion impliziert wieder die Stetigkeit. Besondere Beachtung verdient der Fall „(X, d) = (Y, e) und L < 1“:

Definition (Kontraktion)

Ein f : (X, d)  (X, d) heißt eine Kontraktion, falls f Lipschitz-stetig mit einer Konstanten L < 1 ist.

 Der folgende fundamentale Satz besagt, dass Kontraktionen in vollständigen Räumen einen ausgezeichneten Punkt besitzen: Es gibt immer genau ein x*, das durch f nicht bewegt wird.

Satz (Banachscher Fixpunktsatz)

Sei (X, d) ein nichtleerer vollständiger metrischer Raum, und sei f : X  X eine Kontraktion mit einer Lipschitz-Konstanten L < 1. Dann gibt es genau ein x*  ∈  X mit f (x*) = x*. Für alle x0  ∈  X gilt

(a)

x*  =  lim (x0, f (x0), f (f (x0)), …),

(b)

d(x0, x*)  ≤  d(x0, f (x0))1 − L.

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 Die Folge (x0, f (x0), f (f (x0)), …) heißt der Orbit des Punktes x0 unter f. Der Startpunkt x0 wird nach x1 = f (x0) geschickt, der Punkt x1 nach x2 = f (x1) usw. Ist f eine Kontraktion, so werden die Abstände in jedem Schritt um einen konstanten Faktor verkleinert. Da der Raum vollständig ist, sollte der Orbit von x0 unter f also gegen einen Punkt x* konvergieren. Dass dies so ist, und dass x* zudem der eindeutige Fixpunkt von f ist, zeigt der folgende Beweis.

Beweis

zur Existenz :

Sei x0  ∈  X, und sei (xn)n  ∈   der Orbit von x0 unter f, sodass xn + 1 = f (xn) für alle n. Weiter sei s = d(x0, x1). Dann gilt:

(i)

d(xn, xn + 1)  ≤  Ln s  für alle n ≥ 0.

(ii)

(xn)n  ∈   ist eine Cauchy-Folge.

Beweis von (i) durch Induktion nach n: 

Der Induktionsanfang n = 0 gilt nach Definition von s. Im Induktionsschritt von n nach n + 1 gilt

d(xn + 1, xn + 2)  =  d(f (xn), f (xn + 1))  ≤  L d(xn, xn + 1)  ≤  L Ln s  =  Ln + 1 s.

Beweis von (ii): 

Für alle n, k gilt nach der Dreiecksungleichung und (i):

d(xn, xn + k) ≤  j < k d(xn + j, xn + j + 1)  ≤  j < k Ln + j s
=  Ln s j < k Lj  ≤  Ln s1 − L(geometrische Reihe)

Aus limn Ln = 0 folgt die Behauptung.

Da X vollständig ist, existiert x* = limn xn nach (ii). Da f stetig ist, gilt

(+)  x*  =  limn xn + 1  =  limn f (xn)  =  f(limn xn)  =  f (x*).

Zudem gilt wie im Beweis von (ii)

d(x0, x*)  =  limk d(x0, x0 + k)  ≤  limk L0 s1 − L  =  s1 − L .

Damit sind die Existenz eines Fixpunkts sowie (a) und (b) gezeigt.

zur Eindeutigkeit:

Sind x, y  ∈  A mit f (x) = x und f (y) = y, so ist

d(x, y)  =  d(f (x), f (y))  ≤  L d(x, y).

Aus L < 1 folgt d(x, y) = 0 und damit x = y.

 Die Eigenschaft f (x*) = x* ist mit Hilfe der Limesstetigkeit von f erstaunlich einfach einzusehen. Der Leser vergleiche (+) mit der Argumentation, dass die Newton-Iteration eine Nullstelle findet (Kapitel 4. 4 in Band 1).

 Anschaulich formuliert lautet das Ergebnis: Unter einer Kontraktion laufen alle Orbits sehr schnell auf einen unbewegten Punkt zu, dem schwarzen Loch der Kontraktion.

Zum Kontraktionsbegriff

Dass f : X  X eine Kontraktion ist, bedeutet nicht, dass

d(f (x), f (y))  <  d(x, y)  für alle x, y  ∈  X mit x ≠ y,

sondern stärker, dass ein L  ∈  [ 0, 1 [ existiert mit

d(f (x), f (y))  ≤  L d(x, y)  für alle x, y  ∈  X.

Das fixpunktfreie f : [ 1, ∞ [  [ 1, ∞ [ mit f (x) = (x2 + 1)/x zeigt (mit der euklidischen Metrik), dass die schwächere Voraussetzung für den Fixpunktsatz nicht genügt. (Vgl. hierzu auch die Rolle der 1 im Quotientenkriterium).

 Eine nützliche Variante ist:

Korollar (Banachscher Fixpunktsatz für abgeschlossene ε-Kugeln)

Seien (X, d) vollständig, a  ∈  X, ε > 0 und A = { x  ∈  X | d(x, a) ≤ ε }. Weiter sei f : A  X Lipschitz-stetig mit L  ∈  [ 0, 1 [. Es gelte d(a, f (a)) ≤ (1 − L)ε. Dann gilt f : A  A, und f besitzt genau einen Fixpunkt x*  ∈  A.

Beweis

Für alle x  ∈  A gilt:

d(a, f (x)) ≤  d(a, f (a))  +  d(f (a), f (x))  ≤  (1 − L) ε  +  L d(a, x)
≤  (1 − L) ε  +  L ε  ≤  ε.

Damit ist f (a)  ∈  A für alle x  ∈  A und somit f : A  A eine Kontraktion. Da der Teilraum (A, d) aufgrund der Abgeschlossenheit von A vollständig ist, folgt die Behauptung aus dem Banachschen Fixpunktsatz.

 Eine Version mit „<“ statt „≤“ ist schließlich:

Korollar (Banachscher Fixpunktsatz für offene ε-Kugeln)

Seien (X, d) vollständig, a  ∈  X, ε > 0 und U = { x  ∈  X | d(x, a) < ε }. Weiter sei f : U  X Lipschitz-stetig mit L  ∈  [ 0, 1 [. Es gelte d(a, f (a)) < (1 − L)ε. Dann besitzt f genau einen Fixpunkt x*  ∈  U.

Beweis

Sei δ  ∈  ] 0, ε [ mit d(a, f (a)) ≤ (1 − L) δ. Wir wenden nun das letzte Korollar auf die Funktion f|A an mit

A  =  { x  ∈  X | d(a, x) ≤ δ }  ⊆  U.

 Der Fixpunktsatz spielt in der Analysis an verschiedenen Stellen eine wichtige Rolle. Wir werden ihn zum Beweis des Hauptsatzes über implizite Funktionen und bei der Untersuchung gewöhnlicher Differentialgleichungen zur Konstruktion von Lösungen verwenden. In beiden Fällen wird die Argumentation durch die Anwendung des abstrakten Hilfsmittels wesentlich kürzer und transparenter.