Numerische und topologische Äquivalenz

 Wie wir schon mehrfach gesehen haben, können verschiedene Metriken auf der gleiche Menge X denselben Grenzwertbegriff für Folgen erzeugen. Dieses Phänomen wollen wir nun noch genauer untersuchen.

Definition (numerisch und topologisch äquivalente Metriken)

Sei X eine Menge. Zwei Metriken d und e auf X heißen:

(a)

numerisch äquivalent, falls es c1, c2 > 0 gibt mit:

∀x, y  ∈  X (d(x, y)  ≤  c1 e(x, y)  ∧  e(x, y)  ≤  c2 d(x, y)),

(b)

topologisch äquivalent, falls für alle x  ∈  X gilt:

∀ε > 0 ∃δ12 > 0  (Udδ1(x) ⊆ Ueε(x)  ∧  Ueδ2(x) ⊆ Udε(x)).

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 Die topologische Äquivalenz bedeutet, dass jede offene d-Kugel eine offene e-Kugel mit dem gleichem Mittelpunkt enthält und umgekehrt. Ist dies der Fall, so erzeugen d und e die gleiche topologische Struktur auf X, da dann

{ U ⊆ X | U ist offen in (X, d) }  =  { U ⊆ X | U ist offen in (X, e) }.

Topologisch äquivalente Räume haben dieselben abgeschlossenen Mengen und auch das Innere, der Abschluss und der Rand einer Menge stimmen überein. Der Stetigkeitsbegriff für (X, d) ist identisch mit dem für (X, e), da er mit Hilfe der offenen Mengen ausgedrückt werden kann. Konvergenzverhalten und Grenzwerte sind gleich, d. h., eine Folge konvergiert in (X, d) genau dann, wenn sie in (X, e) konvergiert, und im Fall der Konvergenz ist der Grenzwert bzgl. d der Grenzwert bzgl. e. Die Übereinstimmung von Konvergenzverhalten und Grenzwerten von Folgen impliziert umgekehrt die topologische Äquivalenz.

 Bei allen Gemeinsamkeiten kann es auch wichtige Unterschiede geben: Von zwei topologisch äquivalenten Metriken kann die eine vollständig sein und die andere nicht. Die vollständige Tangensmetrik auf ] − π/2, π/2 [ liefert ein Beispiel. Allgemeiner lässt sich für jedes offene Intervall X in  eine zur euklidischen Metrik topologisch äquivalente Metrik d finden, sodass (X, d) vollständig ist. Man sagt dann, dass man die euklidische Topologie von X vollständig metrisiert hat.

 Numerisch äquivalente Metriken sind auch topologisch äquivalent. Die Umkehrung gilt im Allgemeinen nicht. Ist von zwei numerisch äquivalenten Metriken die eine vollständig, so ist es auch die andere. Die Tangensmetrik ist also topologisch, nicht aber metrisch äquivalent zur euklidischen Metrik auf ] −π/2, π/2 [.

 Zwei Normen auf einem Vektorraum nennen wir numerisch bzw. topologisch äquivalent, wenn die von den Normen induzierten Metriken dies sind. Hier gilt:

Satz (numerische und topologische Äquivalenz von Normen)

Zwei Normen auf einem 𝕂-Vektorraum V, mit 𝕂 =  oder 𝕂 = , sind genau dann topologisch äquivalent, wenn sie numerisch äquivalent sind.

 Der Beweis kann dem Leser überlassen bleiben. Aufgrund des Satzes können wir kurz von äquivalenten Normen sprechen. Noch überraschender ist:

Satz (Äquivalenz von Normen)

Sei V ein endlich-dimensionaler 𝕂-Vektorraum mit 𝕂 =  oder 𝕂 = . Dann sind je zwei Normen auf V äquivalent.

 Einen Beweis geben wir in 2. 6 mit Hilfe des Kompaktheitsbegriffs.

 Für alle n ≥ 1 erzeugen also die p-Normen dieselbe Topologie auf n und n, und für alle n, m ≥ 1 erzeugen die Matrix-Normen dieselbe Topologie auf dem Raum Km × n aller (m × n)-Matrizen. Die Konvergenz einer Folge in einem normierten endlich-dimensionalen 𝕂-Vektorraum ist immer die koordinantenweise Konvergenz bzgl. einer beliebigen Basis. Damit gilt das vertraute Kriterium zur Überprüfung der Stetigkeit einer Funktion in einem Punkt x: Für alle gegen x konvergenten Folgen (xn)n  ∈   in V konvergieren die Komponenten von (f (xn))n  ∈   gegen die Komponenten von f (x).