Separable metrische Räume und abzählbare Basen
Eine bemerkenswerte Eigenschaft der reellen Zahlen ist die Existenz einer abzählbaren dichten Teilmenge. Die Menge ℚ der rationalen Zahlen hat mit jeder ε-Umgebung Uε(x) einen nichtleeren Durchschnitt, sodass jede reelle Zahl der Grenzwert einer Folge rationaler Zahlen ist. Dies führt zum Beispiel dazu, dass eine stetige Funktion f : ℝ → ℝ durch ihre Werte auf ℚ eindeutig bestimmt ist (vgl. 3. 1 in Band 1). Auch viele andere metrische Räume besitzen abzählbare und dichte Teilmengen:
Definition (dichte Teilmenge eines metrischen Raumes, separabel)
Sei (X, d) ein metrischer Raum. Ein D ⊆ X heißt dicht in X, falls gilt:
U ∩ D ≠ ∅ für alle nichtleeren offenen U ⊆ X.
Der Raum (X, d) heißt separabel, falls es ein abzählbares dichtes D ⊆ X gibt.
Ein D ⊆ X ist genau dann dicht, wenn cl(D) = X. Gleichwertig ist auch die Bedingung: Für alle p ∈ X und alle ε > 0 existiert ein x ∈ D mit d(p, x) < ε.
Beispiele
(1) | Die Räume ℝn sind separabel unter der euklidischen Topologie. Denn ℚn ist abzählbar und dicht in ℝn. |
(2) | Ist (X, d) ein metrischer Raum und X abzählbar, so ist X separabel. |
(3) | Ist X überabzählbar, so ist X mit der diskreten Metrik nicht separabel. |
(4) | Der Raum X = 𝒞([ 0, 1 ]) = { f | f : [ 0, 1 ] → ℝ ist stetig } ist separabel unter der von der Supremumsnorm induzierten Metrik dsup. Denn ist f ∈ X und ε > 0, so liegt im ε/2-Schlauch um f ein Polynom g mit reellen Koeffizienten (Approximationssatz von Weierstraß-Bernstein). Ersetzt man nun die Koeffizienten in g durch hinreichend nahe rationale Koeffizienten, so liegt das so entstehende Polynom h im ε-Schlauch um f (Beweis als Übung). Da es nur abzählbar viele Polynome auf [ 0, 1 ] mit rationalen Koeffizienten gibt, ist die Menge dieser Polynome also abzählbar und dicht in (X, dsup). Allgemeiner ist 𝒞([ a, b ]) separabel unter dsup für jedes reelle Intervall [ a, b ]. |
(5) | Ist X eine Menge von beschränkten Funktion auf [ 0, 1 ], die alle Funktionen gx = 1[ 0, x [, x ∈ [ 0, 1 ], enthält, so ist X nicht separabel unter dsup. Denn ist D ⊆ X und F : { gx | x ∈ [ 0, 1 ] } → D derart, dass jedes F(gx) im 1/2-Schlauch um gx liegt, so ist F injektiv und also D nicht abzählbar. Folglich sind die Treppenfunktionen, die bv-Funktionen, die Regelfunktionen und die Riemann-integrierbaren Funktion auf dem Intervall [ 0, 1 ] keine separablen Räume unter dsup. |
In separablen metrischen Räumen haben die offenen Mengen eine einfache Struktur. Wir definieren hierzu:
Definition (Basis eines metrischen Raums)
Sei (X, d) ein metrischer Raum. Ein Menge ℬ offener Mengen heißt eine Basis von (X, d), falls für alle offenen U ⊆ X gilt:
U = ⋃ { B ∈ ℬ | B ⊆ U }.
Das Mengensystem
ℬ = { U1/n(q) | q ∈ ℚ, n ≥ 1 }
ist zum Beispiel eine Basis von ℝ (unter deuk). Diese Basis ist abzählbar. Allgemein führt die Separabilität zur Existenz einer abzählbaren Basis und umgekehrt:
Satz (abzählbare Basen und Separabilität)
Sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann sind äquivalent:
(a) | (X, d) ist separabel. |
(b) | Es gibt eine abzählbare Basis von (X, d). |
Beweis
(a) impliziert (b): Sei D ⊆ X abzählbar und dicht. Wir setzen
ℬ = { U1/n(x) | x ∈ D, n ≥ 1 }.
Dann ist ℬ abzählbar. Weiter ist ℬ eine Basis von (X, d). Denn sei U ⊆ X offen, und sei p ∈ U. Da U offen ist, existiert ein ε > 0 mit Uε(p) ⊆ U. Sei n ≥ 1 so, dass 1/n < ε/2. Da D dicht in X ist, gibt es ein x ∈ D mit d(p, x) < 1/n. Dann ist p ∈ U1/n(x) ⊆ Uε(p) ⊆ U (wobei die erste Inklusion nach der Dreiecksungleichung gilt). Dies zeigt, dass
U = ⋃ { B ∈ ℬ | B ⊆ U }.
(b) impliziert (a): Sei ℬ eine abzählbare Basis von (X, d) mit ∅ ∉ ℬ. Sei
xU = „ein x ∈ U“ für alle U ∈ ℬ.
Dann ist { xU | U ∈ ℬ } abzählbar und dicht in X.
Ist ℬ eine abzählbare Basis eines metrischen Raums (X, d), so ist jede offene Menge U bestimmt durch die Menge { B ∈ ℬ | B ⊆ U }. Da ℬ abzählbar ist, gibt es also höchstens ℘(ℕ)-viele oder gleichwertig höchstens ℝ-viele offene Mengen. Da jede abgeschlossene Menge das Komplement einer offenen Menge ist, gilt dies auch für die abgeschlossenen Mengen. Die Systeme 𝒰 und 𝒜 der offenen bzw. abgeschlossenen Mengen in X können also überabzählbar sein, aber ihre gemeinsame Mächtigkeit ist durch die Mächtigkeit von ℝ beschränkt. Separable metrische Räume sind in diesem Sinne also vergleichsweise klein.