Ausblick:  Konvergenz in topologischen Räumen

 Die Definition „limn xn = x“ in metrischen Räumen macht durch „d(x, xn) < ε“ von der Metrik gebraucht. Der Einsatz der Metrik lässt sich jedoch vermeiden:

Definition (topologische Grenzwertdefinition für Folgen)

Sei (X, 𝒰) ein topologischer Raum. Dann konvergiert eine Folge (xn)n ∈  in X gegen ein x  ∈  X, falls gilt:

Für jede Umgebung U von x gibt es ein n0, sodass xn  ∈  U für alle n ≥ n0.

(topologische Konvergenzbedingung)

 Wir schreiben wieder limn xn = x, halten aber fest, dass ein Limes einer Folge in einem topologischen Raum nicht immer eindeutig bestimmt ist. In der trivialen Topologie { ∅, X } auf einer beliebigen Menge X konvergiert zum Beispiel jede Folge (xn)n ∈  in X gegen jedes x  ∈  X. Denn ist x  ∈  X, so ist X die einzige Umgebung von x. Die Eindeutigkeit des Grenzwerts einer Folge gilt jedoch für die folgende große Klasse von topologischen Räumen:

Definition (Hausdorff-Raum)

Ein topologischer Raum (X, 𝒰) heißt ein Hausdorff-Raum und 𝒰 eine Hausdorff-Topologie auf X, falls gilt:

Für alle x, y  ∈  X mit x ≠ y gibt es U,V  ∈  𝒰 mit x  ∈  U, y  ∈  V und U ∩ V = ∅.

(Hausdorff-Trennungseigenschaft)

 Jeder metrische Raum ist ein Hausdorff-Raum. Umgekehrt kann die Trennungseigenschaft manche ε/2-Argumente ersetzen. Dass je zwei verschiedene Punkte disjunkte Umgebungen besitzen genügt zum Beispiel für die Eindeutigkeit des Grenzwerts und dafür, dass jede Einermenge { x } abgeschlossen ist.

Beispiele

(1)

Die Topologie 𝒰[ ) auf  ist Hausdorffsch, da für alle a < b in  die Intervalle [ a, b [, [ b, b + 1 [ disjunkte offene Mengen sind. Eine Folge (xn)n ∈  in  konvergiert genau dann gegen x, wenn in jedem Intervall [ x, x + ε [ fast alle Folgenglieder liegen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn (xn)n ∈  monoton fallend gegen x konvergiert. Dagegen konvergiert zum Beispiel (−1/n)n ≥ 1 nicht gegen 0 in dieser Topologie.

(2)

Sei X eine unendliche Menge, und sei 𝒰 die koendliche Topologie auf X. Ist (xn)n ∈  eine injektive Folge in X und x  ∈  X beliebig, so gilt limn xn = x, denn außerhalb jeder offenen Umgebung U von x liegen nur endlich viele Glieder der Folge, da X − U endlich ist. Die Topologie 𝒰 ist nicht Hausdorffsch, da für alle x, y  ∈  X offene U, V mit x  ∈  U, y  ∈  V unendlich sind und also für x ≠ y nicht disjunkt sein können.

(3)

Sei X eine Menge und

𝒰  =  { ∅ }  ∪  { U ⊆  − U ist abzählbar }

die koabzählbare Topologie auf X. Gilt limn xn = x in (X, 𝒰), so ist die offene Menge U =  − { xn | xn ≠ x } eine Umgebung von x. Also gibt es ein n0 mit xn  ∈  U für alle n ≥ n0. Dann gilt aber xn = x für alle n ≥ n0 nach Definition von U. Da schließlich konstante Folgen in jeder Topologie konvergieren, sind die konvergenten Folgen in (X, 𝒰) also genau die schließlich konstanten Folgen. Die Topologie 𝒰 ist nicht Hausdorffsch, wenn X überabzählbar ist.

 Von den metrischen Räumen sind wir die Äquivalenz der Umgebungsstetigkeit und der Limesstetigkeit gewohnt. Für beliebige topologische Räume impliziert die Limesstetigkeit im Allgemeinen nicht mehr die Stetigkeit:

Beispiel

Seien 𝒰 und 𝒰euk die koabzählbare bzw. euklidische Topologie auf . Dann ist id : (, 𝒰)  (, 𝒰euk) nicht stetig, da zum Beispiel ] 0, 1 [ = id−1(] 0, 1 [) nicht offen in 𝒰 ist. Die Limesstetigkeit gilt, da konvergente Folgen in (, 𝒰) schließlich konstant sind.

 Bemerkenswerterweise gibt es aber eine Verallgemeinerung der Limesstetigkeit, die punktweise äquivalent zur topologischen Stetigkeit ist (entdeckt von Eliakim Moore und Herman Smith 1922). Hierzu wird die Index-Menge  einer Folge (xn)n ∈  durch allgemeinere Strukturen ersetzt:

Definition (gerichtete Menge)

Sei I eine Menge, und sei ≤ eine reflexive und transitive Relation auf I. Dann heißt (I, ≤) gerichtet, falls für alle i, j  ∈  I ein k  ∈  I existiert mit i, j ≤ k.

Gilt i ≤ j in I, so sagen wir auch, dass j nach i in I kommt.

 Damit definieren wir nun:

Definition (Netz)

Seien X eine Menge und (I, ≤) gerichtet. Dann heißt eine I-Folge (xi)i  ∈  I in X ein Netz in X.

 Die topologische Konvergenzbedingung für Folgen lässt sich nun ganz analog für Netze formulieren:

Definition (Konvergenz eines Netzes)

Sei (X, 𝒰) ein topologischer Raum. Ein Netz (xi)i  ∈  I in X heißt konvergent gegen ein x  ∈  X in (X, 𝒰), falls gilt:

Für jede Umgebung U von x existiert ein i0, sodass xi  ∈  U für alle i ≥ i0.

(Konvergenzbedingung für Netze)

 Die Eindeutigkeit eines Netz-Grenzwerts ist erneut nur dann gewährleistet, wenn (X, 𝒰) ein Hausdorff-Raum ist.

Beispiel

Sei (X, 𝒰) ein topologischer Raum, und sei p  ∈  X. Sei

I  =  { U  ∈  𝒰 | p  ∈  U }

die Menge der offenen Umgebungen von p. Dann ist (I, ⊇) gerichtet. In I kommt ein U nach einem V, wenn U eine Teilmenge von V ist. „Spätere“ Elemente sind also kleiner, und „ab U0“ bedeutet „für alle U ⊆ U0“.

Ist nun (xU)U  ∈  I ein Netz in X mit xU  ∈  U für alle U  ∈  I, so gilt

limU  ∈  I xU  =  p.

Denn für jede Umgebung N von p existiert ein U0  ∈  I mit U0 ⊆ N, und dann gilt xU  ∈  N für alle U  ∈  I nach U0. Es gilt also xU  ∈  N ab U0.

 Die Netze dieses Beispiels spielen eine wichtige Rolle im folgenden Beweis.

Satz (Äquivalenz der topologischen Stetigkeit und der Netzstetigkeit)

Sei f : (X, 𝒰)  (Y, 𝒱), und sei p  ∈  X. Dann sind äquivalent:

(a)

f ist stetig in p.

(b)

Für jedes Netz (xi)i  ∈  I in X gilt:

limi  ∈  I xi  =  p  impliziert  limi  ∈  I f (xi)  =  f (p).

Beweis

(a) impliziert (b): 

Sei (xi)i ∈ I ein Netz in X mit limi  ∈  I xi = p. Weiter sei V  ∈  𝒱 mit f (p)  ∈  V. Da f stetig in p ist, gibt es ein U  ∈  𝒰 mit p  ∈  U und f (x)  ∈  V für alle x  ∈  U. Wegen limi  ∈  I xi = x gibt es dann ein i0  ∈  I mit xi  ∈  U für alle i ≥ i0. Dann gilt aber f (xi)  ∈  V für alle i ≥ i0. Dies zeigt, dass limi  ∈  I f (xi) = f (p).

(b) impliziert (a): 

Annahme, f ist nicht stetig in p. Dann existiert ein V  ∈  𝒱, sodass für alle U  ∈  𝒰 mit p  ∈  U ein xU  ∈  U existiert mit f (xU)  ∉  V. Dies definiert ein Netz (xU)U  ∈  I in X mit I wie im Beispiel oben. Dann gilt limU  ∈  I xU = p und nach (b) also limU  ∈  I f (xU) = f (p). Also existiert ein U0  ∈  I, sodass sodass f (xU)  ∈  V für alle U ⊆ U0, im Widerspruch zur Definition von xU.

 Auch andere Limesformulierungen der Theorie der metrischen Räume lassen sich verallgemeinern. So gilt zum Beispiel: Ist (X, 𝒰) ein topologischer Raum, so ist ein A ⊆ X genau dann abgeschlossen, wenn für jedes Netz in A, das in (X, 𝒰) gegen ein x  ∈  X konvergiert, gilt, dass x  ∈  A. Die abgeschlossenen Mengen in topologischen Räumen sind also genau die Mengen, die abgeschlossen unter der Konvergenz von Netzen sind.