Stetige Bilder kompakter Mengen
Der Extremwertsatz von Weierstraß, den wir im ersten Band für kompakte Intervalle [ a, b ] bewiesen hatten, lässt sich sehr elegant durch Reduzierung offener Überdeckungen beweisen. Wir zeigen stärker und mit neuen Argumenten:
Satz (Kompakte Bilder und Annahme von Maximum und Minimum)
Sei C ⊆ ℝ kompakt, und sei f : C → ℝ stetig. Dann ist f[ C ] kompakt.
Ist also C ≠ ∅, so nimmt f ihr Minimum und ihr Maximum an.
Beweis
Sei 𝒰 eine offene Überdeckung von f [ C ]. Aufgrund der Stetigkeit von f gibt es für alle U ∈ 𝒰 ein offenes U* ⊆ ℝ mit f −1[ U ] = U* ∩ C. Damit ist
𝒰* = { U* | U ∈ 𝒰 }
eine offene Überdeckung von C. Also existieren U1, …, Un ∈ 𝒰 mit
C ⊆ U1* ∪ … ∪ Un*.
Dann ist f[ C ] ⊆ U1 ∪ … ∪ Un und damit 𝒰 endlich reduzierbar. Also ist f[ C ] kompakt und damit abgeschlossen und beschränkt. Ist C ≠ ∅, so gilt f[ C ] ≠ ∅ und somit inf(f[ C ]), sup(f[ C ]) ∈ f[ C ].
Kurz:
Das Bild einer kompakten Menge unter einer stetigen Funktion ist kompakt.
Die Funktionen f : ℝ → ℝ und g : [ 1, ∞ [ → ℝ mit
f (x) = 0, g(x) = 1/x für alle x
zeigen dagegen, dass stetige Bilder offener Mengen nicht offen und stetige Bilder abgeschlossener Mengen nicht abgeschlossen sein müssen. Aufgrund des Satzes von Heine-Borel sind stetige Bilder abgeschlossener beschränkter Mengen abgeschlossen (und beschränkt), sodass die Unbeschränktheit des Definitionsbereichs unvermeidbar für ein Gegenbeispiel wie g ist.
Zusammen mit dem topologischen Beweis des Zwischenwertsatzes haben wir also neu bewiesen, dass eine stetige Funktion ein kompaktes Intervall auf ein kompaktes Intervall abbildet: Die Stetigkeit erhält den Zusammenhang, sodass ein stetiges Bild von [ a, b ] ein Intervall ist. Da auch die Kompaktheit erhalten bleibt, ist das Bildintervall kompakt, also von der Form [ c, d ]. Eine stetige Funktion kann [ a, b ] dehnen, stauchen, falten und kompliziert „verkneten“, aber nicht zerreißen, nicht unendlich dehnen und auch kein Bild erzeugen, das seine Randpunkte nicht enthalten würde. Die Randpunkte a, b können ins Innere des Bildes wandern, aber dann werden gewisse Punkte a′, b′ ∈ ] a, b [ zu Randpunkten des Bildes. Das Gleiche gilt auch für eine kompakte Menge C ⊆ ℝ, die kein Intervall ist. Auch hier ist kein stetiges Bild f[ C ] mit einem „abgefeilten Rand“ möglich, denn da f[ C ] kompakt und damit abgeschlossen ist, gilt cl(f[ C ]) ⊆ f[ C ].
Aus der Kompaktheit stetiger Bilder erhalten wir:
Korollar (Homöomorphiesatz für ℝ)
Seien C ⊆ ℝ kompakt, D ⊆ ℝ und f : C → D stetig und bijektiv. Dann ist f −1 : D → C stetig.
Beweis
Sei g = f −1 : D → C. Sei A ⊆ C abgeschlossen. Wir zeigen, dass g−1[ A ] abgeschlossen in D ist. Da f stetig ist, ist g−1[ A ] = f [ A ] kompakt und damit abgeschlossen. Da D abgeschlossen ist, ist g−1[ A ] abgeschlossen in D.
Zwei metrische oder allgemeiner topologische Räume heißen homöomorph, wenn es eine stetige Bijektion zwischen diesen Räumen gibt, deren Umkehrabbildung ebenfalls stetig ist. Die Räume sind dann aus topologischer Sicht gleich „bis auf die Namen der Punkte“. Dies erklärt den Namen des Satzes: Ist der Definitionsbereich kompakt, so ist die Umkehrabbildung automatisch stetig. Dass dies nicht immer der Fall ist, hatten wir in der Kreisaufwicklung f : [ 0, 2π [ → K schon gesehen. Aber auch für ℝ gibt es Gegenbeispiele:
Beispiel
Sei f : [ 0, 1 ] ∪ ] 2, 3 ] → [ 0, 2 ] die Funktion mit
Dann ist f stetig und bijektiv, aber f −1 ist unstetig im Punkt 1.
Die Funktion f erhält Nähe, führt aber neue Nähebeziehungen ein, indem sie das Intervall ] 2, 3 ] an den Punkt 1 heranführt und anklebt.
Ist der Definitionsbereich jedoch ein Intervall, so ist die Umkehrabbildung auch im nichtkompakten Fall automatisch stetig:
Satz (Homöomorphiesatz für reelle Intervalle)
Seien I ⊆ ℝ ein Intervall, J ⊆ ℝ und sei f : I → J stetig und bijektiv. Dann ist J ein Intervall und f −1 : J → I stetig.
Beweis
Da I zusammenhängend und f stetig ist, ist J zusammenhängend und also ein Intervall. Die Bijektion f −1 : J → I ist wie f streng monoton und also stetig.
Während der erste Homöomorphiesatz auf der Kompaktheit des Definitionsbereichs beruht, so beruht der zweite Satz auf dem Zusammenhang des Definitionsbereichs und der Linearität von ℝ. Die Kreisaufwicklung f : [ 0, 2π [ → ℝ zeigt, dass der Zusammenhang des Definitionsbereichs einer stetigen Bijektion für die Stetigkeit der Umkehrfunktion im Allgemeinen nicht genügt.
Es ist instruktiv, unsere Ergebnisse auf die Cantor-Menge anzuwenden.
Satz (stetige Funktionen auf der Cantor-Menge)
Für die Cantor-Menge C ⊆ [ 0, 1 ] gilt:
(a) | Es gibt keine stetige Surjektion f : C → ] 0, 1 [. Gleiches gilt für für die Wertebereiche ] 0, 1 ] und [ 0, 1 [. |
(b) | Es gibt keine stetige Bijektion f : C → [ 0, 1 ]. |
(c) | Es gibt eine stetige Surjektion f : C → [ 0, 1 ] mit den Eigenschaften:
|
Beweis
zu (a):
Die Intervalle ] 0, 1 [, ] 0, 1 ] und [ 0, 1 [ sind nicht kompakt und damit keine stetigen Bilder von C.
zu (b):
Wäre f : C → [ 0, 1 ] stetig und bijektiv, so wäre f −1 : [ 0, 1 ] → C stetig nach dem Homöomorphiesatz. Da [ 0, 1 ] zusammenhängend ist, wäre also auch C zusammenhängend, was nicht der Fall ist.
zu (c):
Sei g : [ 0, 1 ] → [ 0, 1 ] die Teufelstreppe (vgl. 2. 1), und sei f = g|C. Dann ist f : C → [ 0, 1 ] stetig und surjektiv. Für alle a, b ∈ [ 0, 1 ] mit a < b gilt f (a) = f (b) genau dann, wenn [ a, b ] ein Drittelintervall der Konstruktion von C ist.
Die stetige „fast-injektive“ Surjektion f : C → [ 0, 1 ] in (c) kann man topologisch so beschreiben: Man identifiziert die Randpunkte der Drittelintervalle der Konstruktion der Cantor-Menge. Im nächsten Abschnitt werden wir stetige Surjektionen auf C, die Werte im ℝn annehmen, betrachten und zur Konstruktion von Peano-Kurven verwenden (vgl. 3. 1).