Kompaktheit versus „abgeschlossen und beschränkt“

 Eine kompakte Teilmenge eines metrischen Raums ist immer abgeschlossen und beschränkt. Für den euklidischen Raum  hatten wir gesehen, dass auch die Umkehrung gilt, sodass die Kompaktheit dort einfach als Kombination der Abgeschlossenheit und Beschränktheit erscheint. In metrischen Räumen ist diese Äquivalenz nicht mehr allgemein gültig:

Beispiele

(1)

Sei d* = min(1, deuk) auf . Dann gilt diamd*() = 1. Weiter ist

𝒰  =  { ] − n, n [ | n ≥ 1 }

eine nicht endlich reduzierbare offene Überdeckung von  in (, d*). Also ist  beschränkt und abgeschlossen, aber nicht kompakt in (, d*).

(2)

Wir betrachten den Raum  der rationalen Zahlen mit der euklidischen Metrik. Sei a > 0 eine irrationale Zahl. Dann ist Ua(0) eine beschränkte, offene und zugleich abgeschlossene Teilmenge in . Ist (qn)n  ∈   eine Folge in ] 0, a [ ∩ , die in  gegen a konvergiert, so ist

𝒰  =  { Uqn(0) | n  ∈   }

eine offene Überdeckung von Ua(0), die nicht endlich reduzierbar ist. Also ist Ua(0) abgeschlossen und beschränkt, aber nicht kompakt in .

 Der Raum (, d*) ist im Gegensatz zum Raum der rationalen Zahlen sogar vollständig und die Metrik d* ist topologisch äquivalent zur euklidischen Metrik deuk auf . Zwei topologisch äquivalente Metriken erzeugen dieselben offenen, abgeschlossenen und kompakten Mengen, aber sie können sich in ihrer Auffassung der Beschränktheit unterscheiden.

 Trotz der Gegenbeispiele gilt „kompakt = abgeschlossen + beschränkt“ in vielen metrischen Räumen. Nützlich hierzu ist folgende Beobachtung:

Satz (Bedingung für einfache kompakte Mengen)

Sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann sind äquivalent:

(a)

Abgeschlossene ε-Kugeln sind kompakt, d. h., für alle ε > 0 und alle p  ∈  X ist cl(Uε(p)) kompakt.

(b)

Ein C ⊆ X ist genau dann kompakt, wenn C abgeschlossen und beschränkt ist.

 Für die Metrik d* aus dem ersten Beispiel ist die Bedingung (a) verletzt, da zum Beispiel cl(U2(0)) = U2(0) =  unter d* nicht kompakt ist.

Beweis

(a) impliziert (b):  Kompakte Mengen sind immer abgeschlossen und beschränkt. Sei also umgekehrt C ⊆ X abgeschlossen und beschränkt.

Ist C = ∅, so ist C kompakt. Andernfalls existiert ein p  ∈  C. Dann gilt C ⊆ cl(Uε(p)) für ε = diam(C) < ∞. Also ist C eine abgeschlossene Teilmenge einer kompakten Menge und damit kompakt.

(b) impliziert (a):  Jede Menge cl(Uε(p)) ist abgeschlossen und beschränkt, also kompakt unter der Voraussetzung (b).

 Die Bedingung ist zum Beispiel für die Maximumsmetrik auf dem n erfüllt:

Satz (Kompaktheit n-dimensionaler Quader)

Sei n ≥ 1 und sei d die Maximumsmetrik auf dem n. Dann sind alle Quader Q der Form

Q  =  [ a1, b1 ]  ×  [ a2, b2 ]  ×  …  ×  [ an, bn ]

kompakt. Insbesondere sind alle Kuben cl(Uε(p)) = [ p − ε, p + ε ]n kompakt.

Beweis

Wir zeigen die Aussage durch Induktion nach n. Für n = 1 folgt die Behauptung aus der Kompaktheit der reellen Intervalle [ a, b ]. Im Induktionsschritt von n nach n + 1 betrachten wir

S  =  { x  ∈  [ an + 1, bn + 1 ] | [ a1, b1 ] × … × [ an, bn ] × [ an + 1, x ] ist kompakt }.

In Analogie zum eindimensionalen Fall zeigt man bn + 1 = sup(S)  ∈  S.

 Einen zweiten Beweis geben wir später mit Hilfe von konvergenten Folgen.

 Aus dem Ergebnis erhalten wir:

Korollar (allgemeiner Satz von Heine-Borel)

Sei n ≥ 1, und sei d eine zur Maximumsmetrik numerisch äquivalente Metrik auf dem n. Dann sind für alle C ⊆ n äquivalent:

(a)

C ist kompakt.

(b)

C ist abgeschlossen und beschränkt.

Speziell gilt dies für die euklidische Metrik und die Summenmetrik auf dem n.

Beweis

Die Äquivalenz gilt für die Maximumsmetrik nach den obigen Sätzen. Allgemein folgt sie daraus, dass zwei numerisch äquivalente Metriken dieselben kompakten, abgeschlossenen und beschränkten Mengen besitzen.

 Das Beispiel d* = min(1, deuk) auf  zeigt, dass die numerische Äquivalenz nicht durch die topologische ersetzt werden kann.