Kompaktheit und Beschränktheit

 Jeder kompakte metrische Raum (X, d) ist beschränkt, denn ist (X, d) unbeschränkt, so ist die offene Überdeckung

𝒰  =  { Un(p) | n ≥ 1 },  p  ∈  X beliebig,

nicht endlich reduzierbar. Durch Vertauschung der Rollen des Mittelpunkts und des Durchmessers erhalten wir eine Verstärkung der Beschränktheit: Für alle ε > 0 ist

𝒰  =  { Uε(x) | x  ∈  X }

eine offene Überdeckung von X. Ist also (X, d) kompakt, so genügen endlich viele ε-Kugeln, um X zu überdecken. Wir isolieren diese Überdeckungs-Eigenschaft und definieren:

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endliche Überdeckung von X mit ε-Kugeln

Definition (total beschränkt)

Ein metrischer Raum (X, d) heißt total beschränkt, falls X = ∅ oder für alle ε > 0 ein n ≥ 1 und x1, …, xn  ∈  X existieren mit

X  =  Uε(x1)  ∪  …  ∪  Uε(xn).

Ein P ⊆ X heißt total beschränkt, wenn der Teilraum (P, d) dies ist.

 Jeder total beschränkte Raum ist beschränkt, da eine endliche Vereinigung beschränkter Mengen beschränkt ist. Genauer gilt: Ist ε > 0 und sind x1, …, xn  ∈  X derart, dass X = Uε(x1)  ∪  …  ∪  Uε(xn), so ist diam(X) ≤ δ + 2ε, wobei δ das Maximum aller Abstände d(xi, xj) ist. Die beschränkte, aber nicht total beschränkte Metrik d = min(1, deuk) auf  zeigt, dass die totale Beschränktheit eine echte Verstärkung der Beschränktheit ist.

 Anschaulich klar, aber dennoch beweisbedürftig ist:

Satz (Teilmengen total beschränkter Räume)

Sei (X, d) total beschränkt, und sei P ⊆ X. Dann ist P total beschränkt.

Beweis

Die Aussage ist klar für P = ∅. Sei also P ≠ ∅, und sei ε > 0. Dann gibt es x1, …, xn  ∈  X derart, dass P ⊆ Uε/2(x1) ∪ … Uε/2(xn). Wir dürfen annehmen, dass für alle k ein yk  ∈  P ∩ Uε/2(xk) existiert (sonst streichen wir einige xk). Dann gilt Uε/2(xk) ⊆ Uε(yk) für alle k und damit

P  ⊆  Uε(y1)  ∪  …  ∪  Uε(yn).

 Kompakte Räume sind vollständig und beschränkt, aber diese beiden Eigenschaften reichen nicht aus, um die Kompaktheit zu erzwingen (d = min(1, deuk) liefert erneut ein Gegenbeispiel). Dagegen gilt:

Satz (Charakterisierung der Kompaktheit in metrischen Räumen, II)

Sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann sind äquivalent:

(a)

(X, d) ist kompakt.

(b)

(X, d) ist vollständig und total beschränkt.

Beweis

(a) impliziert (b):  Schon bewiesen.

(b) impliziert (a):  Wir zeigen die Bolzano-Weierstraß-Eigenschaft. Sei also P ⊆ X unendlich. Wir konstruieren rekursiv Pn mit:

(i)

P  =  P0  ⊇  …  ⊇  Pn  ⊇  …, 

(ii)

Pn ist unendlich,

(iii)

limn diam(Pn)  =  0.

zur rekursiven Konstruktion

Wir setzen P0 = P. Ist Pn definiert, so ist Pn ⊆ X total beschränkt, und damit gibt es x1, …, xk  ∈  Pn mit

Pn  ⊆  U1/n(x1)  ∪  …  ∪  U1/n(xk).

Da Pn unendlich ist, gibt es ein i, sodass Pn ∩ U1/n(xi) unendlich ist. Wir setzen dann Pn + 1 = Pn ∩ U1/n(xi).

Sei nun (xn)n ∈  eine injektive Folge mit xn  ∈  Pn für alle n. Nach (i) und (iii) ist (xn)n ∈  eine Cauchy-Folge. Da (X, d) vollständig ist, existiert x = limn xn. Nach Konstruktion ist x ein Häufungspunkt von P.

 Der Beweis der zweiten Implikation erinnert an den Beweis des Satzes von Bolzano-Weierstraß für . Die totale Beschränktheit ersetzt die wiederholte Halbierung eines Intervalls, die für allgemeine metrische Räume nicht zur Verfügung steht.

 Ist (X, d) ein metrischer Raum, so ist ein P ⊆ X genau dann total beschränkt, wenn cl(P) total beschränkt ist (Beweis als Übung). Da eine abgeschlossene Teilmenge eines vollständigen Raumes einen vollständigen Raum bildet, erhalten wir:

Korollar (Kriterium für einen kompakten Abschluss)

Sei (X, d) vollständig, und sei P ⊆ X. Dann sind äquivalent:

(a)

P ist total beschränkt.

(b)

cl(P) ist kompakt.