Ausblick:  Die Fourier-Transformation

 Wir haben bislang nur periodische Funktionen untersucht. Eine natürliche Frage ist, ob sich auch eine beliebige Funktion f :    in Elementarschwingungen zerlegen lässt. Dies ist für viele Funktionen möglich, wenn wir die Frequenzen der Schwingungen nicht mehr diskret, sondern kontinuierlich wählen, also statt eikx, k  ∈  , allgemeiner eikx, k  ∈  , zur Zerlegung der Funktion verwenden und die Summe einer Fourier-Reihe durch ein uneigentliches Integral ersetzen. Wir definieren:

Definition (Fourier-Transformation)

Sei f :    eine Funktion mit I(|f|) < ∞, d. h. |f| ist uneigentlich integrierbar mit endlichem Integral. Dann setzen wir für alle k  ∈  

(f)(k)  =  ^f(k)  =  1−∞f (x) e−ikx dx.

Die Funktion ^f :    heißt die Fourier-Transformierte von f.

 Die Definition der Fourier-Transformierten ist ein kontinuierliches Analogon der Definition der Fourier-Koeffizienten. Um den Zusammenhang zwischen f und ^f zu ergründen, betrachten wir ein (groß gedachtes) p > 0 und definieren für alle k  ∈  

(+)  ck  =  1π−πf(pxπ) e−ikx dx  =  12pp;−p;f (x) e−ikx π/p dx.

Die komplexen Zahlen ck sind die Fourier-Koeffizienten der 2π-periodischen Funktion g :    mit

g(x)  =  f(pxπ)  für alle x  ∈  [ − π, π ].

Die Funktion g entsteht durch Einschränkung von f auf [ − p, p ], horizontale Stauchung dieser Einschränkung auf [ − π, π ] und periodische Fortsetzung. Im wesentlichen unternehmen wir also eine diskrete Fourier-Analyse von f|[ − p, p ]. Da f integrierbar ist, konvergiert die Fourier-Reihe von g im quadratischen Mittel gegen g. Wir nehmen im Folgenden an, dass dies sogar punktweise der Fall ist. Dann gilt

k ck eikx  =  g(x)  =  f(pxπ)  für alle x  ∈  [ − π, π ]

und damit

(++)  k ck eikx π/p  =  f (x)  für alle x  ∈  [ − p, p ].

Definieren wir nun

^fp(k)  =  1p;−p;f (x) e−ikx dx  für alle k  ∈  ,

so gilt nach (+)

ck  =  πp ^fp(πkp)  für alle k  ∈  .

Damit erhalten wir nach (++), dass

(#)  kπp ^fp(πkp) eikxπ/p  =  f (x)  für alle x  ∈  [ − p, p ].

Die linke Seite von (#) hat für jedes x  ∈  [ − p, p ] die Form einer „uneigentlichen“, sich über ganz  erstreckenden Riemann-Summe der Funktion h mit

h(u)  =  ^fp(u) eiux  für alle u  ∈  

bezüglich einer Partition von  der Feinheit π/p mit unendlich vielen Stützstellen πk/p, k  ∈  . Beschränken wir k auf Werte in { − n, …, n }, so erhalten wir eine echte Riemann-Summe, aber die Übereinstimmung mit f (x) geht dabei verloren. Ein sorgfältig durchgeführter doppelter Grenzübergang „n  ∞, p ∞“ liefert das folgende Ergebnis:

Satz (Fourier-Rücktransformation)

Sei f :    mit I(|f|) < ∞. Weiter sei f stückweise stetig differenzierbar und es gelte f (x) = f (x±) für alle x  ∈  . Dann gilt

lim ∞p;−p;^f(k) eikx dk  =  f (x)  für alle x  ∈  .

Ist I(|^f|) < ∞, so gilt stärker

−∞^f(k) eikx dk  =  f (x),  d. h.  ^^f(−x)  =  f (x)  für alle x  ∈  .

 Die Feinheit des Ergebnisses lässt sich durch eine Stetigkeitsüberlegung illustrieren: Die Fourier-Transformierte (f) = ^f einer stückweise stetigen Funktion f ist stetig, und damit ist auch (^f) stetig, vorausgesetzt, (^f) existiert, d. h. es gilt I(|^f|) < ∞. Ist also f wie im Satz unstetig, so gilt notwendig

I(|^f|)  =  ∞,

da sonst f wegen (^f)(−x) = f (x) stetig wäre. Dieses Phänomen haben wir bei den Fourier-Reihen mit „k|ck| = ∞“ schon kennengelernt. Ein instruktives Beispiel für die Fourier-Transformation ist:

Beispiel

Sei f :    die arithmetisch gemittelte Indikatorfunktion von [ −1, 1 ], d. h.

f(x)=1falls |x|<1,1/2falls |x|=1,0falls |x|>1.

Dann gilt für alle k  ∈  *

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^f(k)  =  sin(k)πk, stetig fortgesetzt

^f(k)  =  1−1e−ikx dx  =  eikxikx=1x=1  =  e−ik − eik−ik  =  2k eik − e−ik2i  =  2 sin(k)k.

Weiter ist π^f(0) = 1. Da das uneigentliche Integral über |sin(k)/k|, k  ∈  , unendlich ist, gilt I(|^f|) = ∞. Der Satz über die Rücktransformation liefert für x = 0 das uneigentliche Integral

0sin(k)k  dk  =  π2 lim ∞p;−p;^f(k)eik0 dk  =  π2 f (0)  =  π2.

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die Diagramme zeigen p;−p;^f(k) eikx dk  =  p;−p;sin(k) cos(kx)  dk in der Variablen x für p  =  5, 20, 80

 Die Fourier-Transformation führt also aus der Klasse aller uneigentlichen integrierbaren Funktionen f :    mit |I(f)| < ∞ heraus, und dies ist sogar für Funktionen möglich, die außerhalb eines kompakten Intervalls null sind. Eine Einschränkung der Funktionen hat in dieser Hinsicht bessere Eigenschaften:

Definition (schnell fallende Funktion, Schwartz-Raum)

Ein f :    heißt schnell fallend, falls für alle m ≥ 1 gilt:

lim ∞ xmf (x)  =  lim −∞ xmf (x)  =  0.

Ist f glatt und f (n) schnell fallend für alle n, so heißt f eine Schwartz-Funktion. Die Menge der Schwartz-Funktionen heißt der Schwartz-Raum.

 Das vielleicht wichtigste Beispiel für eine Schwartz-Funktion ist die Gaußsche Glockenkurve. Wir werden sie gleich noch genauer betrachten.

 Die Bedeutung der Schwartz-Funktionen zeigt:

Satz (Fourier-Transformation einer Schwartz-Funktion)

(a)

Die Fourier-Transformation ist eine Bijektion auf dem Schwartz-Raum: Für jede Schwartz-Funktion f ist (f) eine Schwartz-Funktion und zudem gibt es eine Schwartz-Funktion g mit (g) = f.

(b)

Für jede Schwartz-Funktion f und alle n gilt (mit Variablen x für f und k für (f)):

(f)(n)  =  (− i)n (xnf),

(f (n))  =  in kn (f). (Ableitungsregeln)

(c)

Sind f, g Schwartz-Funktionen, so ist

〈 (f), (g) 〉  =  〈 f, g 〉,  speziell also  ∥ f ∥2 = ∥ (f) ∥2.

 Die Ableitungsregel gehört zu den wichtigsten Eigenschaften der Fourier-Transformation. Die Ableitung einer Funktion wird durch die Transformation zu einer einfachen Multiplikation. Um f abzuleiten, kann man (f) bilden, mit i k multiplizieren und das Ergebnis rücktransformieren.

 Die erste Regel erhält man durch Differenzieren unter dem Integral:

(f)′ =  ddk−∞f (x) e−ikx dx  =  −∞∂k(f (x) e−ikx) dx
=  −∞− i x f (x) e−ikx dx  =  − i (xf).

Dass dies erlaubt ist, ist natürlich zu beweisen. Die zweite Regel ergibt sich dagegen durch partielle Integration:

(f ′)  =  −∞f ′(x) e−ikx dx  =  0  −  −∞f (x) (− i k) e−ikx dx  =  i k (f).

 Als Anwendung der beiden Ableitungsregeln bestimmen wir die Fourier-Transformierte der Gaußschen Glockenkurve f :   ,

f (x)  =  e−x2/2  für alle x  ∈  .

Hierzu verwenden wir folgende Charakterisierung der Gauß-Funktion durch ihre Differentialgleichung: Für f gilt f ′(x) = − x f (x). Ist nun g :    eine weitere Funktion mit g′(x) = − x g(x), so gilt

(g(x)f (x))′  =  g′(x) f (x)  −  f ′(x) g(x)f 2(x)  =  − x g(x) f (x)  +  x f (x) g(x)f 2(x)  =  0,

sodass g/f = c = g(0)/f (0) = g(0) und damit g = f g(0). Damit können wir nun den folgenden Satz beweisen, der die Glockenkurve auszeichnet: Sie reproduziert sich bei der Fourier-Transformation.

Satz (Fourier-Transformation der Gauß-Funktion)

Für die Gauß-Funktion f :   , f (x) = exp(− x2/2), gilt

^f  =  f2π.

Beweis

Wegen f ′(x) = − x f (x) gilt nach den Ableitungsregeln

(f)′  =  − i (xf)  =  i (−xf)  =  i (f ′)  =  i i k (f)  =  − k (f).

Wegen

(0)  =  −∞e−x2/2 e−i0x dx  =  2π

folgt die Behauptung aus der Vorüberlegung (mit g = (f)).

 Oft wird die Fourier-Transformierte aus Normierungsgründen mit dem Vorfaktor 1/2π statt 1/(2π) definiert. Dann gilt ^f = f für die Gauß-Funktion.

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analysis2-AbbID558b

p;−p;^f(k) eikx dk in der Variablen x für p = 2 (links) und p = 3 (rechts)