Die Partialbruchzerlegung
Wir zeigen folgenden algebraischen Satz, der in der Analysis insbesondere zur Integration rationaler Funktionen eingesetzt werden kann:
Satz (Partialbruchzerlegung von Leibniz und Johann Bernoulli)
Sei g : ℂ → ℂ ein Polynom vom Grad n ≥ 1,
g(z) = a (z − w1)m1 (z − w2)m2 … (z − wr)mr für alle z ∈ ℂ,
mit paarweise verschiedenen Nullstellen w1, …, wr. Weiter sei f : ℂ → ℂ ein Polynom mit −∞ ≤ deg(f) < deg(g). Dann gibt es eindeutig bestimmte ck, m ∈ ℂ, 1 ≤ k ≤ r, 1 ≤ m ≤ mk, sodass für alle z ∈ ℂ − { w1, …, wr } gilt
f (z)g(z) = ∑k, mck, m(z − wk)m (Partialbruchzerlegung)
oder gleichwertig
(+) f (z) = ∑k, m ck, m g(z)(z − wk)m = ∑k, m ck, m gk(z) (z − wk)mk − m,
wobei gk(z) = für alle 1 ≤ k ≤ r. |
Die Koeffizienten c1, m1, …, cr, mr berechnen sich durch
(++) ck, mk = f (wk)gk(wk).
Sind alle Nullstellen von g einfach, so erhält man so bereits alle Koeffizienten. Andernfalls können die ck, m rekursiv berechnet werden, indem (+) für
f*(z) = , g*(z) = a (z − w1)m1 − 1 … (z − wr)mr − 1
bestimmt wird. Die ck, m sind darüber hinaus die eindeutige Lösung des aus (+) durch Koeffizientenvergleich erhaltenen Systems mit n Gleichungen und n Unbekannten ck, m.
Wir nehmen hier und im Folgenden stets maximale Definitionsbereiche für rationale Funktionen an (durch stetige Fortsetzung), sodass zum Beispiel alle gk Polynome auf ganz ℂ sind. Jedes Polynom gk hat den Grad n − mk und die Nullstellen von g ohne wk. Anschaulich entsteht gk aus g einfach durch Streichen des Terms (z − wk)mk. Dieses Streichen lässt sich auch für g* durchführen.
Der Beweis des Satzes ist zum Glück kürzer als seine Formulierung:
Beweis
Wir zeigen die Existenz und Eindeutigkeit einer Darstellung (+) durch Induktion nach n. Dies genügt. Für n = 1 ist dies klar. Sei also n > 1. Nehmen wir (+) an, so ergibt Einsetzen von w1, …, wr, dass notwendig (++) gilt. Wir definieren also die ck, mk in dieser Weise. Weiter definieren wir f* und g* wie im Satz. Alle wk sind Nullstellen des Zählers von f*, sodass f* ein Polynom ist. Nach Induktionsvoraussetzung ist
f*(z) = = ∑k, m < mk ck, m g*k(z) (z − wk)mk − 1 − m
mit eindeutigen ck, m, denn
deg(f*) ≤ n − 1 − r < n − r = deg(g*).
Multiplikation von (z − w1) … (z − wr) ergibt
f (z) − ∑k ck, mk gk(z) = ∑k, m < mk ck, m gk(z) (z − wk)mk − m
und damit die gewünschte eindeutige Darstellung von f.
Sind f, g reell, so ergibt sich aus dem Beweis, dass ck, m und ck′, m konjugiert komplex zueinander sind, falls dies für wk und wk′ gilt. Durch Zusammenfassung der entsprechenden Partialbruchpaare erhält man eine reelle Version.
Beispiele
(1) | Wir betrachten die reelle rationale Funktion f (x)g(x) = x3 + 6x2 + 9x + 4x4 + 2x3 − 7x2 − 8x + 12 für alle x mit g(x) ≠ 0. Der Nenner hat die einfachen reellen Nullstellen w1 = 2, w2 = 1, w3 = −2, w4 = −3. Wir schreiben ck statt ck, 1 für die Koeffizienten der Partialbruchzerlegung. Zudem können wir in ℝ verbleiben. Damit wird (+) zu x3 + 6x2 + 9x + 4 = ∑1 ≤ k ≤ 4 ck (x − 2)(x − 1)(x + 2)(x + 3)(x − wk). Durch Einsetzen von w1, …, w4 erhalten wir 54 = 20 c1, 20 = −12 c2, 2 = 12 c3, 4 = −20 c4. Damit ergibt sich die Partialbruchzerlegung 2710(x − 2) − 53(x − 1) + 16(x + 2) − 15(x + 3). |
(2) | Für die komplexe rationale Funktion f (z)g(z) = 1(z − i)2(z + i) für alle z ∈ ℂ − { i, − i } lautet (+) mit w1 = i, w2 = − i, m1 = 2, m2 = 1 1 = ∑k, m ck, m (z − i)2(z + i)(z − wk)m = c1, 1 (z − i)(z + i) + c1, 2 (z + i) + c2, 1 (z − i)2. Einsetzen von w1 und w2 liefert 1 = 2i c1, 2, 1 = − 4 c2, 1, und ein Vergleich des z2-Koeffizienten ergibt c1, 1 = − c2, 1. Damit lautet die Partialbruchzerlegung (mit 1/i = − i) 14(z − i) − i2(z − i)2 − 14(z + i). |
(3) | Leibniz hat mit Hilfe von Partialbruchentwicklung und Teleskopsummen Reihen berechnet. Einige Beispiele sind: ∑1 ≤ k ≤ n 1k(k + 1) = ∑1 ≤ k ≤ n(1k − 1k + 1) = 1 − 1n + 1, ∑1 ≤ k ≤ n 1k(k + 1)(k + 2) = ∑1 ≤ k ≤ n(12k − 1k + 1 + 12(k + 2)) = 14 − 12(n + 1) + 12(n + 2) (vgl. auch 2. 3 in Analysis 1). |
Ist deg(f) ≥ deg(g), so erhält man durch Polynomdivision gefolgt von Partialbruchzerlegung des Restquotienten die Darstellung
f (z)g(z) = h(z) + ∑k, m ck, m(z − wk)m (allgemeine Partialbruchzerlegung)
mit einem Polynom h vom Grad deg(f) − deg(g).