Elliptische Funktionen

 Sei k  ∈  [ 0, 1 [ fest gewählt. Dann ist die Funktion F(·, k) :   ,

F(φ, k)  =  φ0dψ1k2sin2ψ  für alle φ  ∈  ,

bijektiv und streng monoton steigend, besitzt also eine bijektive und streng monoton steigende Umkehrfunktion. Wir können also definieren:

Jacobi-Amplitude

am(u, k)  =  F−1(u, k)   für alle (u, k)  ∈   × [ 0, 1 [. (Jacobi-Amplitude)

Ist k fest, so schreiben wir auch kurz F(φ) und am(φ) statt F(φ, k) und am(u, k).

analysis2-AbbID668a

Die Jacobi-Amplitude am(u, k) entsteht durch Spiegelung von F(φ, k) an der Hauptdiagonale. Im Diagramme sind die Amplituden wieder für obige Modul-Werte k gezeigt.

analysis2-AbbID668b

Wachstumsverhalten der Jacobi-Amplitude am(u) für k  =  0,98, K  =  K(0,98). Numerisch ist K  =  3,0209…

 Die Jacobi-Amplitude rekonstruiert zu einem Wert u des elliptischen Integrals erster Art das Argument φ. Es gilt

am(u, k)  =  φ  genau dann, wenn  F(φ, k)  =  u.

 Die Jacobi-Amplitude lässt sich zur Definition von periodischen Funktionen verwenden, die die trigonometrischen Funktionen verallgemeinern. Sei hierzu k  ∈  [ 0, 1 [. Dann gilt aufgrund der Additivität des Integrals und des π-periodischen Integranden in F(φ) = F(φ, k):

(+)  F(φ + π)  =  F(φ)  +  F(π)  =  F(φ)  +  2K(k).

Ist nun u  ∈   beliebig, so gibt es ein φ mit u = F(φ). Dann gilt

am(u + 2K(k))  =  F−1(F(φ) + 2K(k))  =(+)  φ + π  =  am(u) + π.

Allgemeiner gilt

am(u + 2aK(k))  =  am(u) + a π  für alle a  ∈  .

Für a = 2 erhalten wir

(++)  sin(am(u + 4K(k)))  =  sin(am(u) + 2π)  =  sin(am(u)).

Damit ist sin ∘ am eine 4K(k)-periodische Funktion, die für k = 0 mit dem Sinus zusammenfällt (da am(u, 0) = F−1(u, 0) = id(u) = u). Analoges gilt für den Kosinus. Dies motiviert die folgenden Definitionen:

Sinus und Kosinus Amplitudinis

sn(u, k)  =  sin(am(u, k)), (Sinus Amplitudinis)

cn(u, k)  =  cos(am(u, k)). (Kosinus Amplitudinis)

Hierbei ist (u, k)  ∈   × [ 0, 1 [. Ist der Modul k fest, so schreiben wir oft kurz sn(u) und cn(u) statt sn(u, k) und cn(u, k).

 Aus der Definition und den Eigenschaften des Sinus und Kosinus ergeben sich die Formeln:

sn2(u)  +  cn2(u)  =  1, 

sn(−u)  =  −sn(u),  cn(−u)  =  cn(u),

sn(u + a2K(k))  =  (−1)a sn(u),  cn(u + a2K(k))  =  (−1)a cn(u)  für alle a  ∈  .

 Die folgenden Diagramme visualisieren die Funktionen sn(u) und cn(u). Sie zeigen, dass die Funktionen nicht direkt mit Hilfe des Sinus und Kosinus definiert werden können und dass im Unterschied zum Sinus und Kosinus die Funktionen nicht mehr durch eine einfache Translation ineinander überführbar sind.

analysis2-AbbID670a

Die Funktionen sn(u, k) für obige k. Je größer k ist, desto größer ist die Periode 4K(k).

analysis2-AbbID670b

Die Funktionen sn(u) sind keine gestreckten Sinus-Funktionen. Links sind sn(u) und sin(πu/(2K(k))) (gestrichelt) für k = 0,9 gezeigt. Beide Funktionen haben die

Periode 4K(k).

analysis2-AbbID670c

Die Funktionen cn(u, k) für unsere k. Diese Funktionen sind für k ≠ 0 keine um ein Viertel der Periode verschobenen sn-Funktionen.

Die Wellenbewegungen eines elliptischen Integrals F(φ) erster Art (für ein festes k) führen, wenn wir sie von der y-Achse aus betrachten und den Sinus und Kosinus anwenden, zu sinus- und kosinusartigen periodischen Funktionen sn(u) und cn(u). Die Funktion sn(u) hat im Vergleich zum Sinus weichere Bögen und steilere Nulldurchgänge, die Funktion cn(u) im Vergleich zum Kosinus spitzere Bögen und flachere Nulldurchgänge.

 Die Bestimmung der Ableitungen der elliptischen Funktionen ist durch die Einführung der Jacobi-Amplitude über das elliptische Integral erster Art leicht möglich. Sei hierzu k  ∈  [ 0, 1 [. Nach dem Hauptsatz gilt

F′(φ)  =  11k2sin2φ,

Die Regel für die Ableitung der Umkehrfunktion liefert nun

am′(u)  =  1F′(am(u))  =  1k2sin2(am(u))  =  1k2sn2(u).

Dies führt uns zur Definition einer weiteren elliptischen Funktion:

Delta Amplitudinis

dn(u, k)  =  1k2sn2(u,k). (Delta Amplitudinis)

analysis2-AbbID672

Die „kosinusartigen“ Funktionen dn(u, k) für die Modul-Werte k von 0 bis 0,98 wie bisher.

 Die Funktion dn ist erneut für alle u  ∈   und alle k  ∈  [ 0, 1 [ definiert, und wir schreiben oft wieder kurz dn(u).

 Wir können nun die Ableitungen unserer neuen Funktionen in eleganter Form angeben:

am′(u)  =  dn(u),

sn′(u)  =  sin(am(u))′  =  cos(am(u)) dn(u)  =  cn(u) dn(u),

cn′(u)  =  cos(am(u))′  =  −sin(am(u)) dn(u)  =  −sn(u) dn(u),

dn′(u)  =  −2 k2 sn(u) sn′(u)/(2dn)  =  − k2 sn(u) cn(u).

 Für k = 0 ist sn(u) = sin(u), cn(u) = cos(u) und dn(u) = 1, sodass diese Formeln die Ableitungen des Sinus und Kosinus verallgemeinern.

analysis2-AbbID674a

Die Funktion sn(u) für k = 0,98 zusammen mit ihrer ersten Ableitung sn′(u) (gestrichelt) und ihrer zweiten Ableitung sn″(u) (gepunktet).

analysis2-AbbID674b

Analog für cn(u).

Die Funktion hat 6 Wendepunkte in einer Periode.

analysis2-AbbID674c

Schließlich für dn(u). Die Graphen sind zudem die ersten drei Ableitungen der Jacobi-Amplitude am(u).

Taylor-Entwicklung im Nullpunkt liefert

sn(u)  =  u  −  (1 + k2) u3/3!  +  (1 + 14k2 + k4) u5/5!  +  …

cn(u)  =  1  −  u2/2!  +  (1 + 4k2) u4/4!  +  …

dn(u)  =  1  −  k2 u2/2!  +  (4k2 + k4) u4/4!  +  …

 Die dn-Funktion taucht nicht nur in den Ableitungen von sn und cn auf. Sie spielt auch eine wichtige Rolle in den folgenden Additionstheoremen, die wir hier ohne Beweis angeben:

sn(u + v)  =  sn(u)cn(v)dn(v)  +  sn(v)cn(u)dn(u)1  −  k2sn2(u) sn2(v),

cn(u + v)  =  cn(u)cn(v)  −  sn(u)sn(v)dn(u)dn(v)1  −  k2sn2(u) sn2(v),

dn(u + v)  =  dn(u)dn(v)  −  k2 sn(u)sn(v)dn(u)dn(v)1  −  k2sn2(u) sn2(v).

Setzen wir speziell K = v mit K = K(k), so erhalten wir

sn(u + K)  =  cn(u)dn(u),  cn(u + K)  =  − k′ sn(u)dn(u),  dn(u + K)  =  k′dn(u),

wobei k′ = 1k2 der komplementäre Modul ist. Diese Formeln liefern einen Ersatz für die für k > 0 nicht mehr gültige Umrechnung cos(u) = sin(u + π/2) bei Addition einer Viertelperiode.