Laurent-Reihen

 Beim Übergang von den Polynomen zu den Potenzreihen haben wir den Potenzen zn freien Lauf „nach rechts“ gelassen:

z0,  z1,  z2,  …,  zn,  ….

Die rationalen Funktionen mit den neuen einfachen Grundbausteinen 1/zn legen es nahe, auch die negativen Potenzen

…,  z−n,  …,  z−3,  z− 2,  z−1

„nach links“ nicht zu beschränken. Dies führt zu doppelt unendlichen Reihen, die die Potenzreihen verallgemeinern.

Definition (Laurent-Reihe)

Eine (formale) Laurent-Reihe ist eine Reihe der Form

(+)  n  ∈   an (z − p)n  =  …  +  a−1 (z − p)−1  +  a0  +  a1 (z − p)  +  …

mit einem Entwicklungspunkt p  ∈   und Koeffizienten an  ∈   für n  ∈  .

Wir nennen die Reihe n < 0 an (z − p)n den Hauptteil und die Potenzreihe n ≥ 0 an (z − p)n den Nebenteil der Laurent-Reihe (+).

Die Konvergenz an einer Stelle z  ∈   bedeutet, dass sowohl der Haupt- als auch der Nebenteil in z konvergieren. In diesem Fall heißt

n  ∈   an (z − p)n  =  n < 0 an (z − p)n  +  n ≥ 0 an (z − p)n

der Wert der Laurent-Reihe bei z.

 Ein Index n läuft hier und im Folgenden über die ganzen Zahlen und nicht nur über die natürlichen Zahlen. Wie immer wird das Summenzeichen sowohl für die Reihe als auch (im Fall der Konvergenz der beiden Teilreihen) für ihren Wert verwendet.

 Wie üblich sind die kompakte und normale Konvergenz einer Laurent-Reihe erklärt. Wir übernehmen alle Sprechweisen und Definitionen der Potenzreihen wo immer möglich, etwa: „f : P   lässt auf U ⊆ P als Laurent-Reihe darstellen.“ Gilt dies, so schreiben wir

f (z)  =  f +(z)  +  f (z)  für alle z  ∈  U  mit

f +(z)  =  n ≥ 0 an (z − p)n (Nebenteil der Darstellung)

f (z)  =  n < 0 an (z − p)n(Hauptteil der Darstellung)

Beispiele

(1)

Die rationale Funktion

1z3  +  1z2  +  1z  +  z  +  z2  +  z3

ist eine Laurent-Reihe mit endlichem Haupt- und Nebenteil und Entwicklungspunkt 0. Sie konvergiert auf *.

(2)

Die rationale Funktion 1/z + 1/(z − 1) ist keine Laurent-Reihe.

(3)

Die holomorphe Funktion f :   mit f (z) = exp(1/z) für z ≠ 0 hat in * die Laurent-Darstellung

f (z)  =  n ≥ 0 z−nn!  =  1  +  1z  +  12 z2  +  16 z3  +  …

mit einem unendlichem Hauptteil, endlichem Nebenteil 1 und Entwicklungspunkt 0.

 Laurent-Reihen lassen sich addieren und mit einem Skalar multiplizieren. Im Gegensatz zu den Potenzreihen ist jedoch im Allgemeinen kein Produkt möglich. Die Diagonalen eines  × -Gitters sind unendlich. Wir haben also keinen Ring vorliegen. Einfacher sind die Laurent-Reihen mit endlichem Hauptteil. Sie lassen sich multiplizieren und zudem in Potenzreihen verwandeln:

Endlicher Hauptteil

Hat eine Laurent-Reihe einen leeren Hauptteil, so ist sie eine Potenzreihe. Hat sie keinen leeren, aber endlichen Hauptteil, so ist sie von der Form

−m ≤ n < 0 an zn  +  n ≥ 0 an zn

für ein m > 0 mit a− m ≠ 0. Wir können dann die Reihe mit zm multiplizieren, wodurch wir die Potenzreihe

n ≥ 0 an − m zn + m

erhalten. Durch den Übergang zu einer Potenz-Reihe steht uns die Taylor-Formel zur Berechnung der Koeffizienten zur Verfügung. Weiter können wir zwei derartige Potenz-Reihen multiplizieren und dann durch Division zum Produkt der Laurent-Reihen zurückkehren.

Umgekehrt entsteht jede Laurent-Reihe mit endlichem Hauptteil durch die Division einer Potenzreihe durch ein zm, m ≥ 0. Aus dem konstanten Koeffizienten a0 der Potenzreihe wird so der m-fache Pol a0/zm.

Konvergenz von Laurent-Reihen

 Wir betrachten den Entwicklungspunkt 0, was wie bei den Potenzreihen zur Untersuchung von Konvergenzfragen keine Einschränkung ist. Ist n ≥ 1 an zn eine Potenzreihe, so ist

n ≤ 1 a− n zn  =  n ≥ 1 an (1/z)n

eine Laurent-Reihe, die nur aus ihrem Hauptteil besteht (vgl. obiges Beispiel mit exp(1/z) ohne den konstanten Term 1). Die Potenzreihe konvergiert genau dann in z ≠ 0, wenn die Laurent-Reihe in 1/z konvergiert. Aus dem punktierten Konvergenzkreis UR(0)* der Potenzreihe wird so das offene Kreiskomplement

int( − U1/R(0))  =  U1/R(∞)  =  { z  ∈   | |z| > 1/R }

für die Laurent-Reihe. Da jeder Hauptteil so erhalten wird, konvergiert ein Hauptteil auf einer Menge Ur1(∞). Der Nebenteil ist eine übliche Potenzreihe mit einem gewissen Konvergenzradius r2 und Konvergenz in Ur2(0). Der Schnitt dieser offenen Mengen hat im Fall r1 < r2 die Form eines Kreisrings:

Definition (Kreisring)

Seien 0 ≤ r1 < r2 ≤ ∞ und p  ∈  . Dann heißt

Ur1, r2(p)  =  { z  ∈   | r1 < |z − p| < r2 }

der offene Kreisring mit Mittelpunkt p, innerem Radius r1 und äußerem Radius r2.

 Jeder Kreisring ist offen, nichtleer und zusammenhängend und damit ein Gebiet. Wir bezeichnen einen Kreisring oft mit A für lateinisch „anulus“ = „kleiner Ring“. Ist A = Ur1, r2(p), so gilt A = A+ ∩ A mit

A+  =  Ur2(p),  A  =  ext(Ur1(p))  =  { z  ∈   | |z − p| > r1 }.

Beispiele

(1)

Die Kreisringe mit dem Innenradius 0 sind genau die punktieren offenen Umgebungen

U0, r(p)  =  Ur(p) − { p }  =  Ur(p)*,  r > 0.

(2)

U0,∞(0)  =  *,  U0,∞(p)  =  * − { p }  für alle p  ∈  .

(3)

Für alle p und 0 ≤ R ≤ ∞ ist UR(p) kein Kreisring. Einem Kreisring Ur, s(p) fehlt immer (mindestens) der Punkt p.

(4)

U1,3(0) ∩ U2, 4(0)  =  U2, 3(0).

 Die Kreisringe entsprechen in der Theorie der Laurent-Reihen den offenen Kreisscheiben der Potenzreihen. Obige Zerlegung einer Laurent-Reihe in einen „inversen Hauptteil“ und ihren Nebenteil zeigt:

Satz (Konvergenzverhalten einer Laurent-Reihen)

Sei n  ∈   an (z − p)n eine Laurent-Reihe. Weiter sei r0 der Konvergenzradius der Potenzreihe n ≥ 0 a− n zn und r2 der Konvergenzradius des Nebenteils n ≥ 0 an zn. Wir setzen r1 = 1/r0. Dann divergiert die Laurent-Reihe auf Ur1(p) und  − cl(Ur2). Gilt r1 < r2, so konvergiert die Laurent-Reihe normal auf dem Kreisring Ur1, r2(p).

 Auf dem Rand des Konvergenzrings ist wie immer keine allgemeine Aussage über die Konvergenz möglich. Die Radien r0 und r2 lassen sich mit den Formeln von Cauchy-Hadamard und Euler berechnen, woraus sich r1 = 1/r0 ergibt.

 Wir führen die (integralfreie) Berechnung einer Laurent-Darstellung an einem einfachen Beispiel vor. Dabei ist die geometrische Reihe ein treuer Freund.

Beispiel

Sei f :  − { 0, 1 }   definiert durch

f (z)  =  1z (z − 1)  für alle z ≠ 0, 1.

Der Kreisring A = U0,1(0) ist eine Teilmenge des Definitionsbereichs von f. Auf dem inneren und äußeren Rand des Rings befinden sich je eine Polstelle von f. Um eine Laurent-Entwicklung von f bei p = 0 auf A zu erhalten, verwenden wir die geometrische Reihe

n zn  =  1z − 1  für |z| < 1.

Für alle z  ∈  A gilt:

f (z)  =  − 1z n ≥ 1 zn  =  − 1z  −  1  −  z  −  z2  −  …  −  zn  −  …

Alternativ erhalten wir diese Darstellung auch mit Hilfe der Partialbruchzerlegung

f (z)  =  −1z  +  1z − 1  =  − 1z  −  11 − z

und erneutem Einsatz der geometrischen Reihe.

Wir können auch auf dem unbeschränkten Kreisring B = U1, ∞(0) eine Laurent-Entwicklung erhalten (nach wie vor im Entwicklungspunkt 0). Ein Ausklammern von z führt hier zum Ziel, denn für alle z  ∈  B gilt:

f (z)  =  1z2 11 − 1/z  =  1z2 n (1/z)n  = 1z2  +  1z3  +  1z4  +  …

Wir werden später zeigen, dass dieses Beispiel typisch ist: Holomorphe Funktionen lassen sich auf offenen Kreisringen, die in ihrem Definitionsbereich liegen, in eine Laurent-Reihe entwickeln.

Die Ordnungsfunktion

 Laurent-Darstellungen erlauben eine sehr klare und einfache Definition der Ordnung einer Funktion f an einer Stelle p:

Definition (Ordnung einer Stelle, Startindex einer Entwicklung)

Sei f : P   holomorph, und sei p  ∈  . Weiter sei f in einer punktierten Umgebung Uε(p) von p dargestellt als Laurent-Reihe

f (z)  =  n  ∈   an (z − p)n

Ist f = 0, so setzen wir of(p) = ∞. Ist an ≠ 0 für unendlich viele n < 0, so setzen wir op(f) = −∞. Andernfalls sei

op(f)  =  „das kleinste n mit an ≠ 0“.

Die Zahl op(f)  ∈   ∪ { ∞ } heißt die Ordnung oder der Startindex der Entwicklung von f an der Stelle p.

 Ist f an der Stelle p definiert, so ist der Hauptteil die leere Summe und die Darstellung die Potenzreihen-Darstellung in einer vollen Umgebung Uε(p).

 Die Definition setzt die Definition der Ordnung für rationale Funktionen fort (Übung). Mit den üblichen Konventionen für das Rechnen mit den symbolischen Werten ∞, −∞ gelten erneut (Übung):

Satz (Rechenregeln für die Ordnung)

Seien f, g : P   holomorph, und sei p  ∈  P derart, dass f und g in einem Uε(p)* als Laurent-Reihen mit endlichem Hauptteil dargestellt werden können. Dann gilt:

(a)

op(f + g)  ≥  min(op(f), op(g)),(Summenregel)

(b)

op(fg)  =  op(f) op(g).(Produktregel)

Die Ungleichung in (a) ist genau dann echt, wenn k = op(f) = og(g) < ∞ und ak = − bk für die Koeffizienten der Entwicklungen von f bzw. g bei p.