Die Topologie der komplexen Zahlen

 Die komplexen Zahlen  bilden mit der von der euklidischen Norm

∥ z ∥  =  |z|  =  x2+y2  für alle z = (x, y)  ∈  

induzierten Metrik

d(z, w)  =  |z − w|  für alle z, w  ∈  

einen metrischen und damit topologischen Raum. Die Wahl der Norm ist für die topologische Struktur von  nicht wesentlich. Je zwei Normen auf dem -Vektorraum 2 sind (topologisch und numerisch) äquivalent (vgl. Analysis 2).

 Für alle ε > 0 und p  ∈   ist

Uε(p)  =  { z  ∈   | |z − p| < ε }

eine offene Kreisscheibe mit Mittelpunkt p und Radius ε. In Uε(w) ist ε immer größer als Null, sodass wir das nicht immer dazu schreiben müssen. Die offenen Kreisscheiben bilden eine Basis der Topologie auf :

Offene Mengen

Ein U ⊆  heißt offen, falls U eine Vereinigung von Kreisscheiben Uε(w) ist (die leere Vereinigung ist zugelassen und liefert die offene leere Menge). Die Menge U lässt sich also durch offene Kreisscheiben (offene Basismengen) ausschöpfen. Äquivalent ist, dass für alle w  ∈  U ein ε > 0 existiert mit Uε(w) ⊆ U: Jeder Punkt von U lässt sich zu einer Kreisscheibe vergrößern, die ganz in U liegt. Die leere Menge und  sind offen. Die offenen Mengen sind abgeschlossen unter endlichen Durchschnitten und beliebigen Vereinigungen. Bei den offenen Kreisscheiben können wir uns auf rationale Radien und Mittelpunkte in 2 beschränken. Wir erhalten so eine abzählbare Basis der Topologie auf .

 Aus dem Begriff der offenen Menge ergeben sich alle weiteren topologischen Begriffe. Wir wiederholen einige davon.

Umgebungen

Ein V ⊆  heißt eine Umgebung eine Punktes p  ∈  , falls es ein ε > 0 gibt mit Uε(p) ⊆ V. Der Umgebungsbegriff ist eine Relation zwischen Teilmengen und Punkten von . Die Menge V muss selbst nicht offen sein. Ist sie es, so nennen wir V eine offene Umgebung von p. Aus dem Umgebungsbegriff lässt sich die Offenheit rekonstruieren: Ein U ⊆  ist genau dann offen, wenn U eine Umgebung jedes ihrer Punkte ist. Damit kann man die Topologie auch auf dem Umgebungsbegriff aufbauen, wenn man möchte.

Der Begriff erweitert sich von Punkten auf Mengen: Ein V heißt eine Umgebung einer Menge P, falls V eine Umgebung aller p  ∈  P ist.

Abgeschlossene Mengen

Die Komplemente offener Mengen heißen abgeschlossen. Die leere Menge und  sind abgeschlossen, eine endliche Vereinigung und ein beliebiger Durchschnitt abgeschlossener Mengen ist wieder abgeschlossen. Eine Menge A ⊆  ist genau dann abgeschlossen, wenn ihr Komplement offen ist. Ausformuliert bedeutet dies: Wenn für jedes w  ∈  , das nicht zu A gehört, eine Kreisscheibe Uε(w) außerhalb von A liegt. Weiter ist A ⊆  genau dann abgeschlossen, wenn der Grenzwert jeder konvergenten Folge in A ein Element von A ist. Konvergente Folgen in einer abgeschlossenen Menge A führen also nicht aus A heraus.

Häufungspunkte

Ein w  ∈   heißt Häufungspunkt einer Menge P ⊆ , falls für alle ε die Menge P ∩ Uε(w) einen von w verschiedenen Punkt enthält (und damit unendlich ist, da ε beliebig verkleinert werden kann). Ein w  ∈   ist genau dann ein Häufungspunkt von P, wenn es eine Folge in P − { w } gibt, die gegen w konvergiert. Die Cantorsche Punktmengenableitung ist für alle P ⊆  definiert durch

P′  =  { w  ∈   | w ist Häufungspunkt von P }.

Ein A ⊆  ist genau dann abgeschlossen, wenn A′ ⊆ A.

P heißt dicht in , falls P′ = . Die Menge 2 ist eine abzählbare dichte Teilmenge von .

Ist p  ∈  P − P′, so heißt p ein isolierter Punkt von P. Eine Menge P heißt diskret, falls P′ = 0. Dies gilt genau dann, wenn P nur aus isolierten Punkten besteht. Eine diskrete Menge P ist abgeschlossen und abzählbar. Denn ist D abzählbar und dicht in , so existiert für alle p  ∈  P ein w  ∈  D und ein n ≥ 1 mit P ∩ U1/n(w) = { p }. Da { U1/n(w) | w  ∈  D, n ≥ 1 } abzählbar ist, ist auch P abzählbar.

Der Satz von Bolzano-Weierstraß

Der Satz besagt für : Jede unendliche beschränkte Menge P ⊆  besitzt einen Häufungspunkt. Wir schließen P in ein abgeschlossenes Quadrat ein, das wir iteriert in vier abgeschlossene Teilquadrate zerlegen und dabei immer ein Teilquadrat wählen, das immer noch unendliche viele Punkte von P enthält. Der eindeutige Punkt im Durchschnitt der Teilquadrate ist ein Häufungspunkt von P. In Folgenformulierung lautet der Satz: Jede beschränkte Folge (zn)n  ∈   in  besitzt eine konvergente Teilfolge.

Inneres, Äußeres, Abschluss und Rand

Für alle P ⊆  setzen wir:

int(P)  =  { z  ∈  P | P ist Umgebung von z }(Inneres)

ext(P)  =  { z  ∈   − P |  − P ist umgebung von z(Äußeres)

cl(P)  =  P ∪ P′(Abschluss)

bd(P)  =  ∂P  =  cl(P) − int(P)  =  cl( − P) − ext(P)(Rand)

Das Innere von P ist die größte offene Teilmenge von P. Analog ist der Abschluss von P die kleinste abgeschlossene Obermenge von P. Ein z  ∈   liegt genau dann im Rand bd(P) von P, wenn jedes Uε(z) sowohl ein Element von P als auch ein Element von  − P enthält.

Kompaktheit

Eine Menge 𝒰 von offenen Mengen heißt eine offene Überdeckung von P, falls P ⊆ ⋃ 𝒰. Sie heißt endlich reduzierbar (bzgl. P), falls es U1, …, Un  ∈  𝒰 gibt mit P ⊆ U1 ∪ … ∪ Un. Ein C ⊆  heißt kompakt, wenn jede offene Überdeckung von P endlich reduzierbar ist. Überlagern wir C beliebig mit offenen Mengen, so reichen bereits endlich viele Mengen aus. Fast alle (alle bis auf endlich viele) Mengen der Überdeckung sind überflüssig. Diese tiefsinnige Begriffsbildung der „Quasi-Endlichkeit“ wird durch den Satz von Heine-Borel flankiert, der die kompakten Mengen in  charakterisiert: Ein C ⊆  ist genau dann kompakt, wenn C abgeschlossen und beschränkt in  ist. Weiter gilt das Cantorsche Schachtelungsprinzip: Gilt Cn + 1 ⊆ Cn für nichtleere kompakte Mengen Cn ⊆ , so gilt ⋂n Cn ≠ ∅.

Eine Teilmenge P von  heißt σ-kompakt, falls P eine abzählbare Vereinigung kompakter Mengen ist. Jede offene Menge U ⊆  ist σ-kompakt (aufgrund der σ-Kompaktheit aller Uε(p) und der abzählbaren Basismengen U1/n(q), n ≥ 1, q  ∈  2). Die Menge der irrationalen Zahlen ist nicht σ-kompakt.

Die doppelte Teilmengen-Noation

In der Funktionentheorie brauchen wir häufig, dass eine Menge einschließlich ihres Abschlusses im Inneren einer anderen Mengen liegt. Wir definieren hierzu für alle A, P ⊆ :

A ⊂⊂ P  falls  cl(A) ist kompakt und cl(A) ⊆ int(P).

In vielen Fällen ist P offen. Dann ist A ⊂⊂ P gleichwertig zu: A ist beschränkt und cl(A) ⊆ P.

Lebesgue-Zahlen und gleichmäßige Stetigkeit

Sei P ⊆ , und sei 𝒰 eine offene Überdeckung von P, d. h. jedes U  ∈  𝒰 ist offen und es gilt P ⊆ ⋃ 𝒰. Dann heißt ein λ > 0 eine Lebesgue-Zahl für 𝒰 (bzgl. P), falls für alle A ⊆ P mit diam(A) < λ ein U  ∈  𝒰 existiert mit A ⊆ U. Für kompakte Mengen existiert eine derartige Zahl: Ist C ⊆  kompakt und 𝒰 eine offene Überdeckung von C, so existiert eine Lebesgue-Zahl λ für 𝒰. Einige Folgerungen sind:

(1)

Ist C kompakt und f : C   stetig, so ist f gleichmäßig stetig, d. h.

∀ε > 0 ∃δ > 0 ∀P ⊆ C (diam(P) < δ  diam(f [ P ]) < ε.(Satz von Heine)

(Dabei ist der Durchmesser diam(P)  ∈  [ 0, ∞ ] einer Menge P ⊆  definiert durch diam(P) = supz, w  ∈  P |z − w| ≤ ∞.)

Konkret ist für ein gegebenes ε > 0 eine Lebesgue-Zahl δ der Überdeckung 𝒰  =  { f −1[ V ] | V offen, diam(V) < ε } geeignet.

(2)

Ist U offen und C ⊆ U kompakt, so gibt es ein ε > 0 mit Uε(p) ⊆ U für alle p  ∈  C. Denn ist 𝒰 eine offene Überdeckung von C mit ⋃ 𝒰 ⊆ U, so ist eine Lebesgue-Zahl ε wie gewünscht. (Alternativ mit Abständen: Es gilt ε = dist(C, U) = infp  ∈  C dist(p, U) = minp  ∈  C dist(p, U) > 0.)

Relativbegriffe

Jede Teilmenge X von  erbt die Topologie von  durch Schnittbildung: Ein U ⊆ X heißt offen in X, falls es ein offenes V ⊆  gibt mit U = V ∩ X. Hieraus ergeben sich erneut alle weiteren topologischen Begriffe „in X“. Die wichtigsten Relativbegriffe und Charakterisierungen sind:

(1)

Ist X offen in , so ist U ⊆ X genau dann offen in X, wenn U offen in  ist.

(2)

Ein V ⊆ P ist genau dann eine Umgebung von p  ∈  P in P, wenn es eine Umgebung U von p in  gibt mit V = U ∩ P. Analoges gilt für Umgebungen von Mengen.

(3)

Ein A ⊆ X ist abgeschlossen in X genau dann, wenn es ein abgeschlossenes B ⊆  gibt mit A = B ∩ X. Dies gilt genau dann, wenn A′ ∩ X ⊆ A.

(4)

Ein C ⊆ X ist (erfreulicherweise) genau dann kompakt in X, wenn C kompakt in  ist.

(5)

Ein P ⊆ X ist genau dann diskret in X, wenn P′ ∩ X = ∅. Es gilt dann: P ist abgeschlossen in X, für alle kompakten C ⊆ X ist P ∩ C endlich, P ist abzählbar (wieder aufgrund der Existenz einer abzählbaren Basis). Beispielsweise ist { 1 − 1/n | n ≥ 1 } diskret in U1(0).

Zusammenhang

Ein X ⊆  heißt (topologisch) zusammenhängend, wenn ∅ und X die einzigen Teilmengen von X sind, die zugleich offen und abgeschlossen in X sind. Im Englischen heißen offene und zugleich abgeschlossene Mengen auch clopen für „closed and open“. Zusammenhängend bedeutet also, dass nur ∅ und X clopen in X sind (diese Mengen sind immer clopen in X). Für x, y  ∈  X setzen wir x ∼ y, falls es ein zusammenhängendes Y ⊆ X gibt mit x, y  ∈  Y. Die Äquivalenzklassen dieser Relation heißen die (Zusammenhangs-) Komponenten von X. Jede Komponente von X ist abgeschlossen in X. Gibt es nur endlich viele Komponenten, so ist jede Komponente auch offen in X. Den verwandten Begriff des Wegzusammenhangs diskutieren wir separtat.

Punktierungen und Löcher

Sei U ⊆  offen. Dann heißt ein C ⊆  − U ein Loch von U, falls C eine kompakte Zusammenhangskomponente von  − U ist. U heißt punktiert in p, falls { p } ein Loch von P ist. Für alle p  ∈   und ε > 0 sei

Uε(p)*  =  Uε(p) − { p }

die Punktierung von Uε(p) bei p. Ein instruktives Beispiel ist U =  − A mit A = { 0 } ∪ { 1/2n | n  ∈   }: Die Menge U ist punktiert in allen z  ∈  A, für jedes n ist U ∪ { 1/2n } offen, U ∪ { 0 } ist nicht offen. Ist die Menge der Punktierungen N einer Menge U diskret (in ), so ist U ∪ { p } offen für alle p  ∈  N. Analog gilt: Hat U nur endlich viele (oder „diskret liegende“) Löcher, so ist U ∪ C offen für jedes Loch C von U.