1.9 Bild und Urbild
Definition (Bild, Urbild)
Sei f : A → B eine Funktion, und seien X ⊆ A und Y ⊆ B. Dann setzen wir:
f[ X ] = f (X) = { f (x) | x ∈ X }, f −1[ Y ] = f −1(Y) = { x ∈ A | f (x) ∈ Y }.
Die Menge f[ X ] heißt das Bild von X, die Menge f −1[ Y ] das Urbild von Y unter f.
X
f −1[ Y ] ist die Vereinigung der grauen Intervalle.
Das Bild f[ X ] ist also eine Menge von Funktionswerten und damit eine Teilmenge des Wertebereichs von f. Wir schicken alle x ∈ X durch f und sammeln, was wir erhalten. Speziell gilt f[ A ] = Bild(f). Das Urbild f −1[ Y ] ist dagegen eine Teilmenge von A = Def (f). Wir sammeln alle Stellen x ∈ A, die durch Anwendung von f in Y landen. Wichtig ist:
Die Menge f −1[ Y ] ist immer definiert, die Injektivität von f wird nicht gefordert.
Die Notation f[ X ] betont neben der gleichwertigen Notation f (X), dass keine Funktionsauswertung der Form „f an der Stelle X“ vorliegt. Wir verwenden im Folgenden f[ X ].
Beispiele
(1) | Sei id : ℝ → ℝ die Identität. Dann gilt für alle X ⊆ ℝ: id [ X ] = id−1 [ X ] = X. |
(2) | Sei f : ℝ → ℝ konstant gleich c. Dann gilt für alle X, Y ⊆ ℝ: f[ X ] = { c }, falls X nichtleer, und f[ X ] = ∅ sonst. f −1[ Y ] = ℝ, falls c ∈ Y, und f −1[ Y ] = ∅ sonst. |
(3) | Sei f : ℝ → ℝ die zweite Potenz, f (x) = x2 für alle x. Dann gilt: f[ [ 0, 2 ] ] = f[ [ −2, 2 ] ] = [ 0, 4 ], f −1[ [ 0, 2 ] ] = [ −, ], f −1[ ] −∞, 0 ] ] = { 0 }. |
(4) | Sei cos : ℝ → ℝ die Kosinusfunktion. Dann gilt cos[ ℝ ] = Bild(cos) = cos[ [ 0, π ] ] = cos[ [ 0, 2π ] ] = [ −1, 1 ], cos[ { a π | a ∈ ℤ } ] = { 1, −1 }, cos−1[ { 0 } ] = { x ∈ ℝ | cos(x) = 0 } = { π/2 + a π | a ∈ ℤ }. |
Die Rechenregeln für die Bild- und Urbildoperation sind unterschiedlich. So gilt z. B.
f −1[ Y1 ∩ Y2 ] = f −1 [ Y1 ] ∩ f −1 [ Y2 ] für alle Y1, Y2 ⊆ B,
während für das Bild im Allgemeinen lediglich gilt, dass
f[ X1 ∩ X2 ] ⊆ f[ X1 ] ∩ f[ X2 ] für alle X1, X2 ⊆ A.
Die Menge f −1[ Y1 ∩ Y2 ] besteht aus denjenigen Elementen von A, die f nach Y1 ∩ Y2 transportiert, und dies sind genau diejenigen Elemente von A, die durch f sowohl nach Y1 als auch nach Y2 transportiert werden. Die ausführliche Argumentation liest sich wie folgt:
f −1[ Y1 ∩ Y2 ] = (Definition des Urbilds)
{ x ∈ A | f (x) ∈ Y1 ∩ Y2 } = (Definition des Durchschnitts)
{ x ∈ A | f (x) ∈ Y1 und f (x) ∈ Y2 } = (Definition des Durchschnitts)
{ x ∈ A | f (x) ∈ Y1 } ∩ { x ∈ A | f (x) ∈ Y2 } = (Definition des Urbilds)
f −1 [ Y1 ] ∩ f −1 [ Y2 ].
Dagegen können bei der Bild-Operation Überlappungen auftreten, die dazu führen, dass die Gleichheit verloren geht:
Beispiel
Sei f : ℝ → ℝ die zweite Potenz und seien X1 = ] −∞, 0 ], X2 = [ 0, +∞ [. Dann gilt:
f[ X1 ∩ X2 ] = f[ { 0 } ] = { 0 } ⊆ [ 0, +∞ [ = [ 0, +∞ [ ∩ [ 0, +∞ [ = f[ X1 ] ∩ f[ X2 ].
Erstellt man für die Inklusion f[ X1 ∩ X2 ] ⊆ f[ Y1 ] ∩ f [ Y2 ] eine ausführliche Argumentation, so findet man eine Implikation „∃x (x ∈ M ∧ x ∈ N) → ∃x x ∈ M ∧ ∃x x ∈ N“, die in der Rückrichtung nicht allgemeingültig ist (vgl. Anhang 2).
Wir stellen einige Rechenregeln für Bilder und Urbilder in einer Tabelle zusammen.
f[ X1 ∩ X2 ] ⊆ f[ X1 ] ∩ f[ X2 ] mit „=“, falls f injektiv ist | f −1[ Y1 ∩ Y2 ] = f −1[ Y1 ] ∩ f −1[ Y2 ] |
f[ X1 ∪ X2 ] = f[ X1 ] ∪ f[ X2 ] | f −1[ Y1 ∪ Y2 ] = f −1[ Y1 ] ∪ f −1[ Y2 ] |
f[ X1 − X2 ] ⊇ f[ X1 ] − f[ X2 ] mit „=“, falls f injektiv ist | f −1[ Y1 − Y2 ] = f −1[ Y1 ] − f −1[ Y2 ] |
Bilder und Urbilder tauchen in der Analysis häufig auf. Es gilt zum Beispiel (vgl. 5. 9):
Das Bild eines Intervalls [ a, b ] unter einer stetigen Funktion ist ein Intervall [ c, d ].
Und eine „höhere Formulierung“ der Stetigkeit einer Funktion f : ℝ → ℝ lautet, dass die Urbilder von offenen Intervallen unter f Vereinigungen von offenen Intervallen sind.