2.1 Irrationale Zahlen
Satz (Irrationalität der Quadratwurzel aus 2)
Sei d die Länge der Diagonalen des Einheitsquadrats. Dann ist d keine rationale Zahl, d. h., es gilt d ≠ n/m für alle natürlichen Zahlen n, m.
Die alten Griechen kannten bereits arithmetische und geometrische Beweise dieses Satzes. Das klassische Argument, das sich insbesondere bei Euklid findet, ist:
Ein arithmetischer Beweis
Wir nehmen an, dass d = n/m für natürliche Zahlen n und m gilt. Durch Kürzen des Bruchs n/m dürfen wir weiter annehmen, dass n und m nicht beide gerade sind. Nach dem Satz des Pythagoras gilt d2 = 1 + 1, also n2/m2 = 2. Also ist
n2 = 2 m2
und damit ist n2 gerade. Dann ist aber auch n gerade, da das Quadrat einer ungeraden Zahl ungerade ist. Folglich ist n2 durch 4 teilbar. Wegen m2 = n2/2 ist also m2 durch 2 teilbar, also ist m2 gerade. Folglich ist auch m gerade, Widerspruch !
Der Satz des Pythagoras liefert die entscheidende Gleichung 2 m2 = n2. Durch eine zahlentheoretische Argumentation mit geraden und ungeraden Zahlen können wir dann zeigen, dass n und m beide gerade sein müssen, was der Annahme der Teilerfremdheit von n und m widerspricht. (Der Leser vergleiche dazu auch den induktiven Beweis in 1. 12.)
Für die Analysis ist das Ergebnis von fundamentaler Bedeutung. Sie benötigt ein Modell für ein Kontinuum, das alle in mathematischen Konstruktionen auftretenden Punkte einer Linie beschreiben kann. Der Satz zeigt:
Die rationalen Zahlen sind kein geeignetes Modell für ein Kontinuum.
Da zwischen zwei rationalen Zahlen p und q immer noch eine weitere rationale Zahl liegt, etwa (p + q)/2, besitzt ℚ einen scheinbar kontinuierlichen Charakter. Und doch fängt die „Linie“ ℚ, obwohl sie dicht mit Punkten bestückt ist, nicht alle Größen ein, die in der Mathematik auftreten. Übertragen wir wie im Diagramm oben die Diagonale des Einheitsquadrats auf die x-Achse, so treffen wir dort keine rationale Zahl an. Diese Lücke lässt sich funktional als „Fehlen von Nullstellen“ formulieren:
Beispiel
Sei f : ℚ → ℚ mit f (q) = q2 − 2 für alle q ∈ ℚ. Es gilt
f (0) = −2 < 0 und f (2) = 2 > 0.
Aber die Funktion f besitzt keine Nullstelle, da aus f (q) = 0 folgen würde, dass
q2 = 2, was für q ∈ ℚ nach dem Satz ausgeschlossen ist.
Erst wenn wir die reellen Zahlen zugrundelegen, können wir den allgemeinen Zwischenwertsatz beweisen, der für eine stetige Funktion die Existenz einer Nullstelle sichert, falls die Funktion sowohl negative als auch positive Werte annimmt (vgl. 5. 8).
Es gibt viele weitere irrationale Zahlen. Mit w = ist zum Beispiel auch
w* = = 4
irrational. Denn wäre w* rational, so wäre auch w* · w* = w rational, da das Produkt zweier rationaler Zahlen rational ist. Induktiv zeigt die Überlegung, dass die Zahlen
2, 4, 8, 16, 32, …
irrational sind. Damit haben wir unendlich viele irrationale Zahlen gefunden. Den Griechen war neben der Irrationalität von auch bekannt, dass die Zahlen
, , , , , , , , , , ,
irrational sind. Warum sie bei 17 aufgehört haben, ist nicht restlos geklärt, aber die Liste legt die Vermutung nahe, dass die Quadratwurzel einer natürlichen Zahl n immer irrational ist, wenn n keine Quadratzahl 1, 4, 9, 16, 25, 36, … ist. Von Gauß stammt ein Satz, der diese Vermutung − und viel mehr − beweist:
Satz (Satz von Gauß)
Seien a0, …, ak − 1 ∈ ℤ und sei x ∈ ℝ mit
xk + ak − 1 xk − 1 + … + a1 x1 + a0 = 0.
Dann ist x eine ganze Zahl oder irrational.
Beispiele
Die Gleichung x2 = 17 hat keine ganzzahligen Lösungen. Also ist die Zahl , eine Lösung der Gleichung, irrational. Ebenso zeigt der Satz von Gauß für die Gleichung x3 = 3, dass 3 irrational ist.
Eine geometrische Erzeugung von xn = für n = 2, 3, 4, … Ab n = 18 überlappt sich die Schnecke, was eine Erklärung für die historische Rolle von sein könnte.
Weiß man, dass die rationalen Zahlen durch endliche oder periodisch unendliche Dezimaldarstellungen charakterisiert sind (vgl. 2. 8 und 4. 4), so ist es einfach, spielerische Beispiele für irrationale Zahlen zu erzeugen:
Beispiele
Die unendlichen Dezimalbrüche
0,101001000100001…, 0,010011000111…, 0,13579111315171921…
sind nicht periodisch, stellen also irrationale Zahlen dar. Im Gegensatz zu haben diese Zahlen aber keine offensichtliche geometrische oder analytische Bedeutung. Sie wurden konstruiert, um irrational zu sein.