3.10Offene Epsilon-Umgebungen

Definition (offene ε-Umgebung)

Für x  ∈   und ε > 0 setzen wir:

Uε(x)  =  { y  ∈   | |y − x| < ε }.

Die Menge Uε(x) heißt die (offene) ε-Umgebung des Punktes x.

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Beispiele

(1)

U1/2(1)  =  ] 1/2, 3/2 [,  Un(0)  =  ] − n, n [  für alle n  ∈  .

(2)

] a, b [  =  U(b − a)/2((a + b)/2)  für alle reellen Zahlen a < b.

 Auf den ersten Blick erscheint es vielleicht etwas übertrieben, für die Intervalle der Form ] x − ε, x + ε [ einen eigenen Begriff und eine eigene Notation einzuführen. Doch der Schein trügt. Die Begriffe sind sehr gut geeignet, um Aussagen im Umfeld des Grenzwert- und Stetigkeitsbegriffs griffig formulieren zu können. Später bilden sie dann auch den Ausgangspunkt der topologischen Betrachtung der Analysis, die mehr Wert auf den Strukturunterschied zwischen [ a, b ] und ] a, b [ legt als auf die gemeinsame Länge b − a der beiden Intervalle. Bevor wir einige Beispiele der „Umgebungssprache“ betrachten, wollen wir noch einige suggestive Sprechweisen präzisieren, die wir zuweilen schon verwendet haben. Damit soll betont werden, dass wir im Folgenden die exakte Ebene nicht verlassen.

Definition (schließlich, immer wieder, unendlich oft)

Sei (xn)n  ∈   eine Folge. Dann gilt eine Eigenschaft  für die Folge

schließlich, falls ein n0 existiert, sodass (xn) für alle n ≥ n0 gilt,

immer wieder oder unendlich oft, falls (xn) für unendlich viele n gilt.

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Schwarze Punkte markieren Zahlen n, für die (xn) gilt, weiße Punkte n, für die (xn) nicht gilt.

Beispiele

(1/n)n ≥ 1 ist schließlich kleiner als 1/2100.

(0, 2, 1, 0, 3, 3, 3, … ) ist schließlich konstant.

(0, 2, 1, 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, … ) ist schließlich streng monoton steigend.

((−1)n 1/2n)n  ∈   ist immer wieder negativ.

(0, 1, 0, 1, … ) nimmt unendlich oft den Wert 1 an.

 Eine Warnung:

Die Verneinung von „ gilt schließlich“  ist  „ gilt unendlich oft nicht“,

und nicht etwa „ gilt nur endlich oft“. Letztere Aussage ist die Verneinung von „ gilt unendlich oft“. Es kann zum Beispiel (xn) für alle geraden n gelten und für alle ungeraden n nicht gelten. Dann gilt  zwar nicht schließlich, aber immerhin noch unendlich oft. Nach diesen logischen Vorbereitungen können wir nun zur Ernte der Früchte übergehen:

Umgebungsformulierung des Grenzwerts

Seien (xn)n  ∈   eine Folge in  und x  ∈  . Dann sind äquivalent:

(a)

limn xn  =  x, d. h. ∀ε > 0 ∃n0 ∀n ≥ n0 |x − xn| < ε.

(b)

Für jede ε-Umgebung U von x gilt xn  ∈  U schließlich.

Umgebungsformulierung von Häufungspunkten

Seien (xn)n  ∈   eine Folge in  und x  ∈  . Dann sind äquivalent:

(a)

x ist ein Häufungspunkt von (xn)n  ∈  , d. h., es gibt eine Teilfolge

(yn)n  ∈   von (xn)n  ∈   mit limn yn = x.

(b)

Für jede ε-Umgebung U von x gilt xn  ∈  U unendlich oft.

 Ein x ist also der Grenzwert einer Folge, wenn jede ε-Umgebung von x schließlich alle Glieder einfängt. Und ein x ist ein Häufungspunkt, wenn die Folge jede ε-Umgebung von x immer wieder besucht. Entsprechend ist x kein Grenzwert, wenn es eine ε-Umgebung von x gibt, die die Folge immer wieder verlässt. Und ein x ist kein Häufungspunkt, wenn es eine ε-Umgebung gibt, die nur endlich oft besucht wird.

 Die ε-Umgebungen eignen sich auch, um den Häufungspunktbegriff für Mengen einzuführen:

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Jedes x  ∈  [ 0, 1 ] ist Häufungspunkt von P.

Definition (Häufungspunkte für Mengen)

Seien P ⊆  und x  ∈  . Dann heißt x ein Häufungspunkt von P, falls für alle ε > 0 die Menge P ∩ Uε(x) unendlich ist.

Beispiel

0 ist ein Häufungspunkt von ] 0, 1 [, [ 0, 1 ], { 1/2n | n  ∈   }, aber kein Häufungspunkt von { 0, 1 }. Dagegen ist 0 ein Häufungspunkt der Folge 0, 1, 0, 1, 0, 1, …

 Ein x kann also Häufungspunkt von (xn)n  ∈   sein, ohne ein Häufungspunkt der Menge P = { xn | n  ∈   } zu sein. Nimmt die Folge aber jeden Wert höchstens endlich oft an, so sind die Häufungspunkte der Folge genau die Häufungspunkte von P.

 Wie für Folgen gilt:

Satz von Bolzano-Weierstraß für Mengen

Jede unendliche beschränkte Teilmenge von  besitzt einen Häufungspunkt.