3.2Grenzwerte von Folgen

Definition (Konvergenz von Folgen, Grenzwert, Limes, konvergent, divergent)

Eine Folge (xn)n  ∈   in  konvergiert gegen ein x  ∈  , falls gilt:

∀ε > 0 ∃n0 ∀n ≥ n0 |xn − x| < ε. (Konvergenzbedingung für x)

Wir schreiben dann

lim ∞ xn  =  x  oder kurz  limn xn  =  x, (Limesnotation)

und nennen x den Grenzwert oder Limes der Folge (xn)n  ∈  . Konvergiert die Folge nicht, so heißt sie divergent.

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Diagramme zu „x = limn xn“. Für gegebenes ε > 0 liegen alle Folgenglieder ab einer Stelle n0 im grauen Bereich. Im linken Diagramm ist dies ein ε-Intervall um x, im rechten ein ε-Streifen um x.

 Der Grenzwertbegriff für Folgen spielt eine fundamentale Rolle in der Analysis, da er sich zur Definition vieler anderer Spielarten des Grenzwertbegriffs eignet. Es ist zum Beispiel heute üblich, die aus der Schule bekannten Grenzwerte für Funktionen, also etwa

lim 1, x ≠ 1 x2 − 1x − 1  =  2,

auf Grenzwerte von Folgen zurückzuführen (wie das geht, werden wir in 5. 2 besprechen). Da die Ableitung einer Funktion in einem Punkt als Grenzwert einer Funktion eingeführt wird, beruht die Differentialrechnung auf dem Grenzwertbegriff für Folgen. Er spielt weiter eine herausragende Rolle in der Topologie und der Wahrscheinlichkeitstheorie.

Bemerkung

Das Unendlichkeitszeichen in der Limesnotation lim ∞ = x ist rein symbolisch. Die Konvergenzbedingung ist gerade dazu da, um die anschauliche Formulierung

„xn strebt gegen x, wenn n gegen unendlich strebt“

zu präzisieren. Die Situation ist insgesamt vergleichbar mit der symbolischen Intervallnotation [ 0, +∞ [ = { x  ∈   | x ≥ 0 }. In 3.12 werden wir Grenzwerte der Form limn xn = ∞ und limn xn = −∞ einführen. Bis dahin ist x  ∈  , falls limn xn = x.

 Die Grenzwertdefinition ist ein erstes Beispiel für die vor allem von Karl Weierstraß im 19. Jahrhundert propagierte „Epsilontik“, durch die die Grundbegriffe der Analysis präzisiert werden konnten. Diese Epsilontik bereitet vielen Anfängern große Schwierigkeiten. Wir wollen deswegen im Detail betrachten, wie ein Nachweis der Konvergenzbedingung typischerweise verläuft. Danach betrachten wir Beispiele für Grenzwerte.

Wie beweist man lim ∞ xn = x ?

Wir beginnen mit „Sei ε > 0.“ (Dies steht so oft an der Tafel, dass „ε ≤ 0“ als Insiderwitz gilt.) Zu diesem ε ist nun ein „guter“ Index n0 zu finden, der in der Regel von ε abhängt. Gut heißt, dass ab der Stelle n0 die Folgenglieder xn von x höchstens den Abstand ε haben, d. h.:

(+)  Für alle n ≥ n0 gilt |xn − x| < ε.

Ein gutes n0 findet man durch genaues Studium der Folge, nicht selten nach einigen Fehlversuchen und durch Rückwärtsargumentation. (Die Zahl n0 ist nicht eindeutig bestimmt: Ist n0 gut, so ist auch jedes n1 > n0 gut.) Ist n0 festgelegt, so besteht der Rest des Beweises im Nachweis von (+). Gelingt dies, ist der Beweis fertig.

 Viele Varianten sind möglich. Gleichwertig zur Konvergenzbedingung für x sind z. B.:

∀ε > 0 ∃n0 ∀n ≥ n0 |xn − x| ≤ ε,

∀ε > 0 ∃n0 ∀n ≥ n0 |xn − x| < 2 ε,

∀ε > 0 ∃n0 ∀n ≥ 2 n0 |xn − x| < ε.

Auch ein Nachweis einer dieser Aussagen zeigt also, dass lim ∞ xn = x.

 Will man dagegen zeigen, dass eine Folge (xn)n  ∈   divergiert, so ist zu zeigen, dass die Konvergenzbedingung für jedes x verletzt ist. Nach den Verneinungsregeln für die Quantoren ist also für jedes x  ∈   zu zeigen:

∃ε > 0 ∀n0 ∃n ≥ n0 |xn − x| ≥ ε.  (Divergenzbedingung für x)

Für ein beliebiges x  ∈   ist ein (in der Regel von x abhängiges) ε > 0 zu finden, sodass für unendlich viele n der Abstand |xn − x| zwischen xn und x größergleich ε ist.

Beispiele

(1)

limn c = c. Für alle ε > 0 ist n0 = 0 ein guter Index, da für alle n gilt:

|xn − c|  =  |c − c|  =  0  <  ε.

(2)

limn ≥ 1 (−1)n/n = 0. Für alle ε > 0 ist jedes n0 mit 1/n0 < ε gut, denn für n ≥ n0 gilt:

|xn − 0|  =  |xn|  =  |(−1)n/n|  =  1/n  ≤  1/n0  <  ε.

(3)

(0, 1, 0, 1, 0, 1, …) divergiert. Denn sei x  ∈  . Dann gilt für alle n:

|x − xn| ≥  1/2  oder  |x − xn + 1| ≥  1/2.

Also verifiziert ε = 1/2 die Divergenzbedingung für x.

(4)

Seien (xn)n  ∈   und (yn)n  ∈   Folgen mit

limn (xn)n  ∈    =  0  und  |yn| ≤ |xn| für alle n.

Dann gilt limn yn = 0. Denn sei ε > 0 und n0 gut für ε und die Folge (xn)n  ∈  . Dann ist n0 auch gut für ε und die Folge (yn)n  ∈  , denn für alle n ≥ n0 gilt:

|yn − 0|  =  |yn|  ≤  |xn|  =  |xn − 0|  <  ε.