3.5 Cauchy-Folgen
Definition (Cauchy-Folge)
Eine Folge (xn)n ∈ ℕ in ℝ heißt eine Cauchy-Folge, falls gilt:
∀ε > 0 ∃n0 ∀n, m ≥ n0 |xn − xm| < ε.
(Cauchy-Bedingung) |
Zur Cauchy-Bedingung: Für gegebenes ε > 0 haben ab einem Index n0 alle Glieder xn, xm einen Abstand kleiner als ε voneinander. Betrachten wir ein solches Paar xn, xm wie im Diagramm, so liegen alle xk mit k ≥ n0 im dunkelgrauen Bereich, da sie sowohl von xn als auch von xm weniger als ε entfernt sind.
Die Cauchy-Bedingung stellt eine Bedingung an die Folgenglieder, ein Grenzwert der Folge ist nicht involviert.
Es gilt der fundamentale Satz:
Satz (Konvergenz von Cauchy-Folgen in ℝ)
Jede Cauchy-Folge in ℝ konvergiert.
Umgekehrt ist jede konvergente Folge eine Cauchy-Folge. Denn ist x = limn xn, so gibt es für alle ε > 0 ein n0 mit |x − xn| < ε/2 für alle n ≥ n0. Dann gilt aber für alle m, n ≥ n0:
|xn − xm| = |xn − x + x − xm| ≤ |xn − x| + |x − xm| < ε/2 + ε/2 = ε.
Dieses Vorgehen ist als „ε/2-Argument“ bekannt (vgl. auch das letzte Beispiel in 2. 5).
Zusammenfassend gilt also:
Eine Folge in ℝ konvergiert genau dann, wenn sie eine Cauchy-Folge ist.
Beispiel
Wir betrachten die Folge
1, 1 + 14, 1 + 14 + 19, 1 + 14 + 19 + 116, …,
d. h., es gilt xn = ∑1 ≤ k ≤ n 1/k2 für alle n ≥ 1. Für alle 1 ≤ n0 ≤ n ≤ m gilt dann:
|xm − xn| = ∑n < k ≤ m 1/k2 < ∑n < k ≤ m (1/(k − 1) − 1/k) =
1/n − 1/(n + 1) + 1/(n + 1) − 1/(n + 2) + … − 1/(m − 1) + 1/(m − 1) − 1/m =
1/n − 1/m ≤ 1/n + 1/m ≤ 2/n0,
wobei wir 1/k2 < 1/(k (k − 1)) = 1/(k − 1) − 1/k verwenden und eine sog. Teleskopsumme aufgelöst haben. Da für alle ε > 0 ein n0 existiert mit 2/n0 < ε, ist die Folge eine Cauchy-Folge, und damit existiert x = limn xn. Mit weitergehenden Methoden (z. B. mit Fourier-Reihen) kann man den Grenzwert x als π2/6 berechnen.
Man kann natürlich auch so argumentieren: Die Folge des Beispiels ist monoton steigend und die Telekopsumme zeigt, dass sie beschränkt und folglich konvergent ist. Zum Nachweis der Konvergenz der Folge (yn)n ≥ 1 mit yn = ∑1 ≤ k ≤ n sin(k)/k2 für alle n ≥ 1 ist die Cauchy-Bedingung essentiell.
Die Konvergenz von Cauchy-Folgen wird oft als „metrisches Vollständigkeitsaxiom“ für die reellen Zahlen bezeichnet. Unser lineares Vollständigkeitsaxiom ist äquivalent zur metrischen Vollständigkeit zusammen mit der archimedischen Anordnung (vgl. auch 2. 7). Später betrachtet man in der Analysis sehr allgemeine metrische Räume und dann wird die metrische Version zur Formulierung der Vollständigkeit herangezogen. Supremum und Infimum stehen nicht mehr zur Verfügung.
Die Cauchy-Bedingung besagt, dass für jedes ε > 0 ab einer bestimmten Stelle der Abstand je zweier Folgenglieder kleiner als ε ist. Anschaulich bedeutet dies, dass sich die Glieder beliebig verdichten. Dabei ist aber Vorsicht geboten:
Es genügt nicht, dass der Abstand zwischen benachbarten
Gliedern xn und xn + 1 beliebig klein wird.
Beispiel
Für alle n ≥ 1 gilt < 1 + 1/n und damit
− = ( − 1) < (1 + 1/n − 1) = 1/.
Also gilt limn ( − ) = 0. Setzen wir also xn = für alle n, so ist (xn)n ∈ ℕ eine divergente Folge mit
∀ε > 0 ∃n0 ∀n ≥ n0 |xn + 1 − xn| < ε.
Die Situation des Beispiels ist gar nicht so selten. Sie liegt zum Beispiel auch für die Folgen (log(n))n ≥ 1 und für (hn)n ≥ 1 mit
hn = 1 + 1/2 + … + 1/n für alle n ∈ ℕ
vor. Die Folge (hn)n ≥ 1 ist die harmonische Reihe, die wir in 4. 5 genauer besprechen werden.
Variante der Cauchy-Bedingung
Folgende gleichwertige Variante der Cauchy-Bedingung kommt mit nur einer Variablen oberhalb von n0 aus:
∀ε > 0 ∃n0 ∀n ≥ n0 |xn − xn0| < ε. (Cauchy-Bedingung, II)
Dies folgt aus der ersten Version, wenn wir dort m = n0 setzen. Umgekehrt ist es die Dreiecksungleichung, die uns von der scheinbar schwächeren zweiten Version zur ersten führt. Gilt nämlich die Version II und ist ε > 0 beliebig, so gibt es ein n0 mit
∀n ≥ n0 |xn − xn0| < ε/2.
Für alle n, m ≥ n0 gilt dann
|xn − xm| ≤ |xn − xn0| + |xn0 − xm| ≤ ε/2 + ε/2 = ε.