3.8 Der Satz von Bolzano-Weierstraß
Satz (Satz von Bolzano-Weierstraß für Folgen)
Jede beschränkte Folge in ℝ besitzt einen Häufungspunkt.
Werfen wir unendlich viele xn in das Intervall [ 0, 1 ], so erzeugen wir dabei unvermeidlich einen Häufungspunkt. Die drei Diagramme entsprechen den Beispielen (1), (2) und (3).
Eine Folge (xn)n ∈ ℕ in ℝ ist beschränkt, falls die Menge der Folgenglieder eine untere und eine obere Schranke besitzt, d. h. falls es a, b ∈ ℝ gibt mit
xn ∈ [ a, b ] für alle n ∈ ℕ.
Der Satz besagt, dass in diesem Fall immer eine konvergente Teilfolge der Folge existiert. Um ein Gefühl für die Aussage zu bekommen, möge der Leser das Intervall [ 0, 1 ] auf ein Papier zeichnen und es mit beliebigen Punkten x0, x1, x2, … füllen. Die Behauptung ist, dass eine derartige Füllung immer einen Häufungspunkt erzeugt, wobei auch wieder ein unendlich oft markierter Punkt als Häufungspunkt gilt. In der Tat bekommt man schnell den Eindruck, dass die Behauptung richtig ist. Eine Häufung scheint aufgrund der Enge des verfügbaren Platzes unvermeidbar.
Beispiele
(1) | Markieren wir in [ 0, 1 ] die Punkte 1, 1/2, 1/4, …, so erzeugen wir 0 als Häufungspunkt. |
(2) | Springen wir in [ 0, 1 ] zwischen 1/3 und 2/3 hin und her, so erzeugen wir die Häufungspunkte 1/3 und 2/3. |
(3) | Nun versuchen wir Wiederholungen und ein Zulaufen auf einen Punkt zu vermeiden und unsere Punkte immer mit möglichst großem Abstand zu setzen. Wir markieren 0, 1, dann 1/2, dann 1/4, 3/4, dann 1/8, 3/8, 5/8, 7/8, usw. So wird aber sogar jedes x ∈ [ 0, 1 ] zu einem Häufungspunkt ! |
Die Situation ändert sich auch nicht, wenn wir anstelle des Intervalls [ 0, 1 ] größere Intervalle wie [ 0, 10 ], [ 0, 100 ], [ 0, 1000 ] usw. mit Punkten füllen. Sie ändert sich allerdings vollkommen, wenn wir das unbeschränkte Intervall [ 0, +∞ [ zur Verfügung haben. Wir können dann ins Unendliche fliehen und die Punkte 0, 1, 2, 3, … markieren, ohne dadurch einen Häufungspunkt zu erzeugen.
Der Satz von Bolzano-Weierstraß besitzt einen einfachen und anschaulichen Beweis, der von Anfängern aber oft als kompliziert empfunden wird, weil sie mit rekursiven Methoden und den doppelten Indizes der Teilfolgen nicht vertraut sind. Wir begnügen uns hier mit einer anschaulichen Formulierung der Beweisidee, die helfen will, die strengen Beweise der Lehrbücher und Vorlesungen leichter lesbar zu machen. Der Einfachheit halber nehmen wir wie im obigen Gedankenexperiment an, die Folge (xn)n ∈ ℕ befinde sich im Intervall [ 0, 1 ]. Ansonsten brauchen wir noch einen blauen Stift.
Anschauliche Darstellung des Beweises
Es liege also eine Folge x0, x1, …, xn, … in [ 0, 1 ] vor. Wir teilen nun [ 0, 1 ] in die zwei Hälften [ 0, 1/2 ] und [ 1/2, 1 ]. Liegen unendlich viele Glieder der Folge in der linken Hälfte, so markieren wir dieses Intervall blau und versehen das erste Glied der Folge, das in diesem Intervall liegt, mit einem blauen Kreis. (Vielleicht ist es bereits x0, vielleicht ist es erst x9.) Andernfalls liegen unendlich viele Glieder der Folge in der rechten Hälfte. In diesem Fall markieren wir diese Hälfte und das erste Glied der Folge, das in dieser Hälfte liegt, blau.
(Es kann sein, dass sowohl im linken als auch im rechten Intervall unendlich viele Glieder liegen. In diesem Fall markieren wir trotzdem nur das linke Intervall blau. Was nicht sein kann, ist, dass sich links und rechts jeweils nur endlich viele Glieder befinden, denn es gibt insgesamt unendlich viele Glieder.)
Nun wiederholen wir die Halbierung mit dem ausgezeichneten blauen Intervall. So finden wir wieder ein Intervall − es hat nun die Länge 1/4 −, in dem immer noch unendlich viele Glieder der Folge liegen. Wir markieren das Intervall blau und versehen das erste Folgenglied oberhalb des zuvor blau markierten Gliedes, das in unserem blauen Intervall der Länge 1/4 liegt, mit einem blauen Kreis. (War es zuvor x9, so könnte es bereits x10 sein, vielleicht aber auch erst x42.) Nun wiederholen wir dieses Verfahren unendlich oft. Wir erhalten geschachtelte blaue Intervallen, die sich aufgrund der fortgesetzten Halbierung auf einen Punkt x* zusammenziehen. Weiter haben wir unendlich viele Folgenglieder mit einem blauen Kreis markiert. Sie bilden eine Teilfolge der Folge. Diese Teilfolge muss gegen x* konvergieren, da für alle n das n-te blaue Glied nach Konstruktion im n-ten blauen Intervall liegt.
Jedes durchgezogene „blaue“ Intervall enthält unendlich viele, jedes gestrichelte Intervall endlich oder unendlich viele Glieder der Folge. In jedem durchgezogenen Intervall markieren wir ein neues Glied der Folge. So entsteht eine Teilfolge, die gegen den durch die Intervallschachtelung definierten Punkt konvergiert.
Eine genaue mathematische Formulierung kann diese anschauliche Darstellung des Beweises nicht ersetzen. Die Beweisidee ist vollständig vorhanden, aber die Form der Argumentation entspricht nicht der üblichen mathematischen Beweisführung. Der Anfänger ist aber aufgerufen, sich möglichst viele Beweise anschaulich klarzumachen. Beherrscht man dann noch die Übersetzung der Anschauung in die mathematische Fachsprache, so wird alles ganz einfach.