4.10Wurzelkriterium und Quotientenkriterium

Satz (Wurzelkriterium)

Sei n xn eine Reihe in . Dann gilt:

(a)

Gibt es ein q  ∈  ] 0, 1 [ und ein n0, sodass

n|xn|  ≤  q  für alle n ≥ n0, (Wurzelbedingung für q)

so konvergiert n xn absolut.

(b)

Gilt n|xn| ≥ 1 für unendlich viele n, so divergiert n xn.

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Wurzelbedingung für q = 0,9: Liegen fast alle Summanden xn im grauen Bereich, so gilt

|xn|n ≤ q für fast alle n und n xn konvergiert.

 Das Wurzel- und das mit ihm eng verwandte Quotientenkriterium sind oftmals geeignet, um Reihen auf Konvergenz und Divergenz zu testen. Dabei sind die n-ten Wurzeln in der Wurzelbedingung zunächst eher abschreckend. Sie werden durch die folgende einfache Beobachtung sympathischer:

Die Aussage (a) ist eine Umformulierung der Majorisierung der Reihe

n |xn| durch eine geometrische Reihe n qn (ab einem n0).

Denn |xn| ≤ qn ist äquivalent zu n|xn| ≤ q. Die Konvergenzaussage ist also eine Zusammenschau des Majorantenkriteriums und der Konvergenz der geometrischen Reihe. Die Divergenzaussage (b) ist zudem leicht einzusehen. Gilt nämlich n|xn| ≥ 1 für unendlich viele n, so gilt |xn| ≥ 1 für unendlich viele n. Dann bilden die Summanden xn keine Nullfolge, sodass n xn divergiert.

Beispiel

In der Reihe 1/2  +  1/52  +  1/23  +  1/54  +  1/25  +  1/56  +  … ist n-te Wurzel des n-ten Summanden stets gleich 1/2 oder 1/5. Die Wurzelbedingung ist für q = 1/2 erfüllt und die Reihe also konvergent.

 Oft existiert, im Gegensatz zu diesem Beispiel, w = limn n|xn|. Gilt w < 1, so ist die Wurzelbedingung für alle q  ∈  ] w, 1 [ erfüllt und die Reihe also konvergent. Gilt w > 1, so gilt Divergenz nach (b). Im Fall w = 1 kann man keine Aussage machen. Das Wurzelkriterium deckt nicht alle Fälle ab: Die Werte n|xn| können sich von unten an die 1 anpirschen, und dann gilt weder die Voraussetzung von (a) noch die von (b). In solchen Fällen kann Konvergenz oder Divergenz vorliegen und man muss andere Methoden verwenden, um dies zu entscheiden. Wir diskutieren zwei Beispiele.

Beispiel

(1)

Für n ≥ 1 (n/(n + 1))n gilt n|xn| = n/(n + 1) für alle n ≥ 1, sodass weder (a) noch (b) greifen. Die Reihe divergiert, da die Summanden keine Nullfolge bilden:

limn ≥ 1 (n/n + 1)n  =  limn ≥ 1 1/(1 + 1/n)n  =  1/e.

(2)

Das Kriterium versagt auch für n 1/n und für n 1/n2, da

limn ≥ 1 (1/n)1/n  =  limn ≥ 1 (1/n2)1/n  =  1.

 Eine handliche Abschwächung des Wurzelkriteriums ist, last but not least:

Satz (Quotientenkriterium)

Sei n xn eine Reihe in . Dann gilt:

(a)

Gibt es ein q  ∈  ] 0, 1 [ und ein n0, sodass

|xn + 1/xn|  ≤  q  für alle n ≥ n0, (Quotientenbedingung für q)

so konvergiert n xn absolut.

(b)

Gibt es ein n0 mit |xn + 1/xn| ≥ 1 für alle n ≥ n0, so divergiert n xn.

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Quotientenbedingung für q = 0,9: Der graue Balken bei n + 1 markiert das Intervall [ − q xn, q xn ]. Dieses Intervall hängt also nicht von n wie bei der Wurzelbedingung, sondern von xn ab. Der Abfall der Summanden wird dadurch in der Regel beschleunigt.

 Auch hier liegt eine geometrische Majorisierung vor, denn aus der Quotientenbedingung folgt „|xn| ≤ |x0| qn für alle n ≥ n0“, wie eine Induktion nach n zeigt.

Beispiele

(1)

Die Reihe n ≥ 1 n2/2n konvergiert, da für alle n ≥ 3 gilt

|xn + 1/xn|  =  (n + 1)2/n2 · 2n/2n + 1  =  (1 + 1/n)2/2  <  (1 + 1/3)2/2  =  8/9  <  1. 

(2)

Für die Reihe n ≥ 1 1/n gilt

limn ≥ 1 |xn + 1/xn|  =  limn ≥ 1 n/(n + 1)  =  1.

Das Quotientenkriterium ist nicht anwendbar, die Reihe divergiert.

(3)

Für die Reihe n ≥ 1 1/n2 gilt

limn ≥ 1 |xn + 1/xn|  =  limn ≥ 1 (n/(n + 1))2  =  1.

Das Quotientenkriterium ist nicht anwendbar, die Reihe konvergiert.

(4)

Nach dem Wurzelkriterium konvergiert die obige Reihe

1/2  +  1/52  +  1/23  +  1/54  +  1/25  +  1/56  +  …

Das Quotientenkriterium ist nicht anwendbar, da |xn + 1/xn| jeweils unendlich oft größer und kleiner als 1 ist. Dies zeigt auch, dass wir in (b) „für alle n ≥ n0“ nicht durch „für unendliche viele n ≥ n0“ wie im Wurzelkriterium ersetzen dürfen.