4.11 Produkte von Reihen
Satz (Produkt absolut konvergenter Reihen)
Seien ∑n xn und ∑n yn absolut konvergent. Dann gilt
∑n xn · ∑n yn = ∑n, m xn ym,
wobei ∑n, m xn ym eine Reihe ist, die alle Produkte xn ym in beliebiger Reihenfolge durchläuft.
Konvergente Folgen und Reihen teilen sich die Regeln für Summe und Skalierung, und für Folgen gilt eine Produktregel:
Folgen | Reihen | |
Summenregel | limn xn + yn = limn xn + limn yn | ∑n xn + yn = ∑n xn + ∑n yn |
Skalierung | limn a xn = a limn xn | ∑n a xn = a ∑n xn |
Produktregel | limn xn yn = limn xn · limn yn | ? = ∑n xn · ∑n yn |
Der obige Satz gibt eine Antwort auf das Fragezeichen der Tabelle. Die Produktregel für Reihen ist dabei schwieriger als die Produktregel für Folgen und sie hat auch nicht dieselbe Form. Bereits im Endlichen gilt ja aufgrund des Distributivgesetzes, dass das Produkt zweier Summen die Summe aller Einzelprodukte ist:
∑n ≤ n0 xn · ∑m ≤ m0 ym = ∑n ≤ n0, m ≤ m0 xn ym.
Die Doppelsumme auf der rechten Seite hat genau n0 · m0 viele Summanden. Aufgrund des Kommutativgesetzes ist es egal, in welcher Reihenfolge wir diese Summanden aufsummieren. Jeder hat ja beim Ausmultiplizieren so seine Vorlieben, aber diese Vorlieben beeinflussen das Ergebnis nicht. Übertragen wir nun die endliche Regel formal ins Unendliche, so erhalten wir eine Summenform wie im Satz:
∑n xn · ∑m ym = ∑n, m xn ym.
Die Doppelsumme auf der rechten Seite hat ℕ × ℕ-viele Summanden. Wir können sie als einfache Summe schreiben, indem wir ein bijektives b : ℕ → ℕ2 fixieren, und definieren
∑n, m xn ym = ∑n xn1 yn2, wobei b(n) = (n1, n2) ∈ ℕ2 für alle n.
Unsere Untersuchung der bedingten Konvergenz hat gezeigt, dass das unendliche Kommutativgesetz verletzt sein kann. Die Summe ∑n, m xn ym wird also im Allgemeinen von der Bijektion b abhängen. Der Satz besagt nun, dass die absolute Konvergenz wieder eine „gute“ Voraussetzung ist. Sind die beiden Reihen absolut konvergent, so können wir die Paare xn ym so aufsummieren, wie wir wollen. Wichtig ist nur, dass für jedes (n, m) ∈ ℕ2 das Produkt xn ym genau einmal in unserer Summe vorkommt.
Beispiel
Wir betrachten das Produkt zweier geometrischer Reihen. Seien also x, y ∈ ] − 1, 1 [. Dann sind ∑n xn und ∑n yn absolut konvergent. Folglich gilt
∑n, m xn ym = ∑n xn · ∑n yn = 1(1 − x) (1 − y) .
Cantorsche Diagonalaufzählung von ℕ2:
(0, 0),
(0, 1), (1, 0),
(0, 2), (1, 1), (2, 0)
(0, 3), (1, 2), (2, 1), (3, 0),
…
Eine besonders wichtige Anordnung der Summanden xn ym folgt der Cantorschen Diagonalaufzählung der Menge ℕ2. Für die Summe ∑n, m xn ym, die dieser Diagonalaufzählung entspricht, bietet sich eine endliche Blockbildung an, die alle Summanden auf den Diagonalen zusammenfasst. Die Elemente auf der n-ten Diagonale sind durch die Bedingung, dass die Summe der Indizes konstant gleich n ist, ausgezeichnet. Der n-te Block hat also die Summe dn = ∑k ≤ n xk yn − k. Unser Satz liefert:
Satz (Cauchy-Produkt oder Diagonalprodukt von Reihen)
Seien ∑n xn und ∑n yn absolut konvergente Reihen in ℝ, und für alle n sei
dn = ∑k ≤ n xk yn − k.
Dann ist ∑n dn absolut konvergent und es gilt ∑n dn = ∑n xn · ∑n yn.
Das Cauchy-Produkt wurde vor allem aufgrund seiner hervorragenden Leistungen bei der Untersuchung der Exponentialreihe geadelt (vgl. 4. 12 und dann vor allem 6. 3). Es gibt aber auch hübsche kleinere Anwendungen:
Beispiel
Wir zeigen noch einmal, dass ∑n ≥ 1 n xn = x/(1 − x)2 für alle x ∈ ] −1, 1 [ (vgl. 4. 3). Hierzu betrachten wir das Cauchy-Produkt der absolut konvergenten Reihen
∑n xn und ∑n xn + 1.
Auf der n-ten Diagonale steht konstant xk xn − k + 1 = xn + 1, sodass
dn = (n + 1) xn + 1 für alle n.
Damit gilt
∑n ≥ 1 n xn = ∑n dn = ∑n xn · ∑n xn + 1 = 11 − x · x1 − x = x(1 − x)2 .