4.9 Majorantenkriterium und Minorantenkriterium
Satz (Majorantenkriterium für Konvergenz)
Sei ∑n xn eine Reihe in ℝ. Weiter sei ∑n yn eine konvergente Reihe mit Summanden in [ 0, +∞ [ mit der Eigenschaft
|xn| ≤ yn für alle n.
Dann konvergiert ∑n xn absolut und es gilt |∑n xn| ≤ ∑n |xn| ≤ ∑n yn.
Konvergiert ∑n yn, so konvergiert jede Reihe ∑n xn, deren Summanden xn sich im grauen Bereich befinden.
Wir betrachten das Kriterium zuerst für den Fall, dass auch alle xn größergleich null sind. Dann sind die Partialsummen (sn)n ∈ ℕ von ∑n xn und (tn)n ∈ ℕ von ∑n yn monoton steigend, und nach Voraussetzung existiert
t = limn tn = ∑n yn.
Wegen sn ≤ tn für alle n gilt
s0 ≤ s1 ≤ … ≤ sn ≤ … ≤ t,
also existiert
s = ∑n xn = limn sn ≤ t.
Ist ∑n xn eine Reihe mit |xn| < yn für alle n, so zeigt das gerade geführte Argument, dass ∑n |xn| ≤ t. Also ist die Reihe ∑n xn absolut konvergent und damit konvergent.
Beispiele
(1) | Die Reihe ∑n ≥ 1 1/n2 konvergiert, denn für alle n ≥ 1 gilt 1n2 ≤ 2n (n + 1), da n (n + 1) = n2 + n ≤ 2 n2, und diese Majorisierung ist konvergent, da 2 ∑n ≥ 1 1/(n (n + 1)) = 2 (vgl. 4. 2). |
(2) | Die konvergente Reihe ∑n ≥ 1 1/n2 können wir nun selbst als Majorante verwenden. Ist k ≥ 2, so ist 1/nk ≤ 1/n2 für alle n ≥ 1 und damit ist die Reihe ∑n ≥ 1 1/nk konvergent. |
(3) | Ist (xn)n ≥ 1 eine (nicht notwendig konvergente) Folge in ℝ, so konvergiert die Reihe ∑n ≥ 1 sin(xn)n2 = sin(x1)1 + sin(x2)4 + sin(x3)9 + … absolut. Denn für alle n ≥ 1 gilt |sin(xn)/n2| ≤ 1/n2. |
Oft findet man eine konvergente Reihe ∑n yn, die schließlich oberhalb der betrachteten Reihe ∑n xn liegt, d. h., es gilt |xn| ≤ yn für alle n größergleich einem n0. In diesem Fall gilt die Konvergenzaussage des Majorantenkriteriums weiterhin, die Abschätzung ist dagegen anzupassen:
|∑n xn| ≤ ∑n |xn| ≤ ∑n ≥ n0 yn + ∑k < n0 xk.
Das Majorantenkriterium ist die Mutter aller weiteren Konvergenzkriterien. Zwei wichtige Beispiele werden wir in der nächsten Sektion besprechen. Hier betrachten wir noch ein Kriterium zur Divergenz.
Satz (Minorantenkriterium für Divergenz)
Sei ∑n yn eine divergente Reihe mit Summanden in [ 0, +∞ [. Weiter sei ∑n xn eine Reihe mit Summanden in [ 0, +∞ [ mit der Eigenschaft
yn ≤ xn für alle n.
Dann divergiert ∑n xn.
Divergiert ∑n yn, so divergiert jede Reihe ∑n xn, deren Summanden xn sich im grauen Bereich befinden.
Beispiel
Gleichmäßige progressive Ausdünnungen der harmonischen Reihe sind divergent. So gilt zum Beispiel
∑n ≥ 1 16 + 4 n = 110 + 114 + 118 + 122 + … = +∞.
Zum Beweis muss man nur beobachten, dass 1/10 ∑n ≥ 1 1/n eine divergente Minorante der Reihe ist.
Dem Leser ist vielleicht aufgefallen, dass die beiden Kriterien nicht vollkommen symmetrisch sind. Im Minorantenkriterium kommen keine Betragsstriche vor. Dies lässt sich in der Tat nicht erreichen:
Bemerkung
Ist ∑n yn divergent und ∑n xn eine Reihe in ℝ mit
yn ≤ |xn| für alle n,
so zeigt das Minorantenkriterium, dass die Reihe ∑n |xn| divergiert. Dies heißt, dass ∑n xn nicht absolut konvergiert, d. h., ∑n xn divergiert oder konvergiert bedingt. Die alternierende harmonische Reihe ∑n ≥ 1 (−1)n − 1/n zeigt, dass der zweite Fall eintreten kann.