5.1Die Limesstetigkeit

Definition (Stetigkeit in einem Punkt und auf einer Menge)

Sei P ⊆ , und sei f : P  .

(a)

f heißt stetig in einem p  ∈  P, falls für alle Folgen (xn)n  ∈  in P gilt:

limn xn = p  impliziert  limn f (xn) = f (p).

(b)

f heißt stetig auf einer Menge Q ⊆ P, falls f stetig in allen p  ∈  Q ist.

(c)

f heißt stetig, falls f stetig auf P ist.

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 Wir setzen den Grenzwertbegriff für Folgen ein, um die Stetigkeit einer Funktion zu definieren. Das anschauliche Nichtspringen einer in einem Punkt p stetigen Funktion wird durch eine Folgenbedingung eingefangen. Wir verlangen, dass die Funktionswerte einer beliebigen Annäherung an p, die im Definitionsbereich der Funktion zu erfolgen hat, gegen f (p) konvergieren. Laufen wir im Definitionsbereich mit einer Folge (xn)n  ∈   auf den Punkt p zu, so läuft die Bildfolge (f (xn))n  ∈   im Wertebereich auf den Bildpunkt f (p) zu. Im Stetigkeitsfall gilt also

limn f (xn)  =  f(limn xn).

Die Stetigkeit ist somit ein Beispiel für die Vertauschbarkeit von Operationen. Eine stetige Funktion respektiert Grenzwerte. Kurz:

Man darf einen Limes in eine stetige Funktion reinziehen.

 Der Begriff der Stetigkeit ist ein Grundbegriff der Analysis. Er steht zwischen den beiden Säulen der Differenzierbarkeit und der Integrierbarkeit. Es wird sich zeigen:

Jede differenzierbare Funktion ist stetig und jede stetige Funktion ist integrierbar.

 Der Stetigkeitsbegriff taucht auch außerhalb der reellen Analysis auf. In allgemeiner Form bildet er den Grundbegriff einer eigenen mathematischen Disziplin, nämlich der Topologie. (Die allgemeine Form deuten wir in 5. 4 an.) Die Topologie untersucht stetige Abbildungen zwischen − oft sehr abstrakten − Räumen. Der Leser, der einen Teig in die Hand nimmt und ihn dehnt und knetet, ohne ihn zu zerreißen, hat, wenn er Ausgangs- und Endform vergleicht, ein „topologisches Beispiel“ für eine stetige Abbildung vor Augen. Eine Kugel kann, wie man in der Topologie zeigt, zum Beispiel nicht stetig in einen Autoreifen umgeformt werden.

Beispiele

(1)

Ist c  ∈  , so ist die konstante Funktion f :    mit f (x) = c für alle x stetig. Denn ist limn xn = p, so gilt

limn f (xn)  =  limn c  =  c  =  f (p)  (=  f (limn xn)).

(2)

Die Identität f :   , f (x) = x für alle x, ist stetig. Denn ist limn xn = p, so gilt

limn f (xn)  =  limn xn  =  p  =  f (p).

(3)

Sind g, f :    stetig, so auch h = g ∘ f. Denn ist limn xn = p, so gilt

limn h(xn)  =  limn g(f (xn))  =  g(limn f (xn))  =  g(f (limn xn))  =  g(f (p)).

Beim ersten Reinziehen des Limes verwenden wir, dass g stetig in f (p) = limn f (xn) ist, beim zweiten, dass f stetig in p = limn xn ist.

(4)

Sind f, g :    stetig und a, b  ∈  , so ist auch h = a f + b g stetig. Denn ist limn xn = p, so gilt

limn h(xn)  =  limn (a f (xn) + b g(xn))  =

a limn f (xn)  +  b limn g(xn)  =  a f (p)  +  b g(p)  =  h(p).

Dabei verwenden wir die Limesregeln für Folgen beim ersten Reinziehen des Limes, beim zweiten dann die Stetigkeit von f und g in p.

 Die Beispiele zeigen, dass jede Polynomfunktion f :    stetig ist. Denn jede solche Funktion entsteht aus den konstanten Funktionen und der Identität durch wiederholte Bildung von Verknüpfungen und Linearkombinationen (vgl. 1. 7). Beispiele für nichtstetige Funktionen besprechen wir in der folgenden Sektion. An dieser Stelle möchten wir noch auf das Thema „Definitionsbereich“ eingehen, das oft Schwierigkeiten bereitet, wenn die betrachtete Funktion nicht auf ganz  definiert ist.

Beispiele

(1)

Sei f : ] −∞, 0 [ ∪ ] 0, +∞ [   definiert durch f (x) = −1, falls x < 0, und f (x) = 1, falls x > 0. Dann ist die Funktion f stetig, obwohl sie an der Stelle 0 zu springen scheint. Die Funktion f ist aber im Nullpunkt gar nicht definiert, sodass hier die Stetigkeitsbedingung leer ist! Gleiches gilt für g :  − { 0 }   mit g(x) = 1/x für alle x ≠ 0. Auch diese Funktion ist stetig.

(2)

Sei P = { p1, …, pn } mit p1 < … < pn. Dann ist jede Funktion f : P   stetig. Denn gilt limn xn = pi in P, so ist die Folge (xn)n  ∈   schließlich konstant gleich pi und also limn f (xn) = f (pi).

Bitte also abspeichern:

Für Stetigkeitsbetrachtungen ist die Angabe und Beachtung des

Definitionsbereichs P der untersuchten Funktion unerlässlich.