5.10Die Stetigkeit der Umkehrfunktion

Satz (Stetigkeit der Umkehrfunktion)

Sei I ein Intervall, und sei f : I   streng monoton steigend. Dann ist die Umkehrfunktion f − 1 von f streng monoton steigend und stetig. Eine analoge Aussage gilt für streng monoton fallende Funktionen.

eha1-AbbID266

 Graphisch entsteht die Umkehrfunktion durch Spiegelung an der Hauptdiagonalen und es ist plausibel, dass durch diesen Spiegelungsprozess keine Sprünge entstehen. Der Satz besagt, dass dies tatsächlich auch so ist.

 Bittet man die Hörer einer Anfängervorlesung, den Satz

„Die Umkehrfunktion einer streng monoton steigenden Funktion ist streng monoton …“

zu ergänzen, so erhält man manchmal sogar eine Mehrheit für „streng monoton fallend“. Durch die Spiegelung an der Hauptdiagonalen scheint sich die Monotonie umzukehren. Dies ist aber nicht der Fall. Liegen x1 < x2 im Definitionsbereich von f, so gilt bei strenger Monotonie, dass

y1  =  f (x1)  <  f (x2)  =  y2.

Ist nun g die Umkehrfunktion von f, so gilt also

g(y1)  =  x1  <  x2  =  g(y2).

Damit ist also auch g wieder streng monoton steigend. Analog ist die Umkehrfunktion einer streng monoton fallenden Funktion wieder streng monoton fallend. Graphisch kann man dies auch wie folgt einsehen: Gegeben sei der Graph von f in der üblichen Weise auf einem Blatt Papier. Nun drehen wir das Blatt Papier um 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn. Dann haben wir bereits die Umkehrfunktion vor Augen, wobei wir im Gegensatz zur üblichen Darstellung die x-Achse von rechts (−∞) nach links (+∞) lesen müssen, die y-Achse wie üblich von unten (−∞) nach oben (+∞). Die Monotonie bleibt gleich.

 Die Umkehrfunktion einer Funktion f existiert genau dann, wenn f injektiv ist. Ist f streng monoton, so gilt klarerweise f (x1) ≠ f (x2) für x1 ≠ x2, d. h., f ist injektiv und somit existiert f − 1. Ist f eine stetige Funktion auf einem Intervall, so folgt aus der Injektivität von f umgekehrt die strenge Monotonie. Denn eine Konstellation x1 < x2 < x3 und f (x1) < f (x2), f (x2) > f (x3) würde aufgrund des Zwischenwertsatzes nach sich ziehen, dass ein Wert zwischen max(f (x1), f (x3)) und f (x2) mindestens zweimal angenommen wird. Analog ist x1 < x2 < x3 und f (x1) > f (x2), f (x1) < f (x3) nicht mit der Injektivität vereinbar.

 Der Satz erspart uns viele Stetigkeitsbeweise:

Beispiele

(1)

Die n-te Potenz f : [ 0, +∞ [   auf [ 0, +∞ [ mit f (x)  =  xn für alle x ≥ 0, ist streng monoton steigend. Also ist ihre Umkehrfunktion, die n-te Wurzelfunktion g : [ 0, +∞ [   mit g(x) = nx  für alle x ≥ 0, streng monoton steigend und stetig.

(2)

Die Exponentialfunktion exp :    ist streng monoton steigend. Also ist ihre Umkehrfunktion, der natürliche Logarithmus log : ] 0, +∞ [  , streng monoton steigend und stetig.

 Dass der Definitionsbereich von f ein (beschränktes oder unbeschränktes) Intervall ist, ist notwendig für die Gültigkeit des Satzes. Eine Lücke im Definitionsbereich kann zu einem Sprung der Umkehrfunktion führen:

Beispiel
eha1-AbbID268

Sei f : [ 0, 1 ] ∪ ] 2, 3 ]   definiert durch

f (x)  =  x  für x  ∈  [ 0, 1 ], 

f (x)  =  x − 1 für x  ∈  ] 2, 3 ].

Dann ist f streng monoton steigend (und stetig). Das Bild von f ist das Intervall [ 0, 2 ], und für die Umkehrfunktion g : [ 0, 2 ]   gilt

lim 1 g(x)  =  1  ≠  2  =  lim 1 g(x).

Die Umkehrfunktion ist also im Punkt 1 unstetig.

 Dem Leser ist vielleicht aufgefallen, dass im Satz nicht vorausgesetzt wird, dass die Funktion f : I   stetig ist. Das ist in der Tat kein Versäumnis. Für die Stetigkeit der Umkehrfunktion genügt die strenge Monotonie und die Intervallnatur des Definitionsbereichs. Die Funktion kann beliebig viele Sprünge machen. Sie führen zu Lücken im Definitionsbereich der Umkehrfunktion, die für die Stetigkeit irrelevant sind.

Beispiel

Sei g : [ 0, 2 ]   die Funktion des vorherigen Beispiels, d. h., es gilt

g(x)=xfalls x[0,1]x+1falls x]1,2].

Dann ist g streng monoton, aber nicht stetig. Die Umkehrfunktion von g ist die stetige Ausgangsfunktion f : [ 0, 1 ] ∪ ] 2, 3 ]   des vorherigen Beispiels.

 Ist eine auf einem Intervall I definierte streng monotone Funktion f : I   zusätzlich stetig, so ist der Definitionsbereich der Umkehrfunktion f −1 wieder ein Intervall.