5.11 Punktweise und gleichmäßige Konvergenz
Definition (punktweise Konvergenz einer Funktionenfolge)
Sei P ⊆ ℝ, und seien fn : P → ℝ für alle n. Es existiere
f (x) = limn → ∞ fn(x) für alle x ∈ P. (punktweise Konvergenzbedingung)
Dann heißt f : P → ℝ der Grenzwert der Funktionenfolge (fn)n ∈ ℕ und die Folge (fn)n ∈ ℕ heißt (punktweise) konvergent gegen f. Wir schreiben dann
f = limn → ∞ fn (punktweise).
Wir haben unseren Grenzwertbegriff also noch einmal erweitert. Nun ist erklärt, was die Konvergenz von Funktionen f0, f1, …, fn, …, gegen eine Funktion f bedeutet. Die Funktionen fn haben alle denselben Definitionsbereich P, und wir verlangen, dass für jeden einzelnen Punkt p in P die Werte f0(p), f1(p), …, fn(p), … gegen f (p) konvergieren.
Beispiele
(1) | Seien fn : [ 0, 1 ] → ℝ definiert durch fn(x) = (1/2n) x für alle x und n. Dann konvergiert (fn)n ∈ ℕ gegen die Nullfunktion auf [ 0, 1 ]. |
(2) | Für alle n sei fn : [ 0, 1 ] → ℝ eine Zackenfunktion wie im Diagramm rechts, mit Wert 1 an der Stelle xn und Breite 2 (1 − xn) des Zackens. Es gelte limn xn = 1. Dann konvergiert (fn)n ∈ ℕ gegen die Nullfunktion auf [ 0, 1 ]. |
(3) | Seien fn : [ 0, 1 ] → ℝ definiert durch fn(x) = xn für alle x und n. Dann konvergiert (fn)n ∈ ℕ gegen die Funktion f : [ 0, 1 ] → ℝ mit f (x) = 0 für x ∈ [ 0, 1 [ und f (1) = 1. |
(4) | Seien fn : ℝ → ℝ definiert durch fn(x) = 1 für |x| ≤ n, fn(x) = 1/2 für |x| > n. Dann konvergiert (fn)n ∈ ℕ monoton steigend gegen die 1-Funktion auf ℝ. |
(5) | Für die Funktionen fn : [ 0, 1 ] → ℝ aus Beispiel (3) gilt limn limx ↑ 1 fn(x) = limn 1 = 1, aber limx ↑ 1 limn fn(x) = limx ↑ 1 0 = 0. |
Das dritte Beispiel zeigt, dass die Stetigkeit beim Grenzübergang verloren gehen kann. Alle Funktionen fn sind stetig und ihr Grenzwert f existiert, aber f hat eine Sprungstelle bei 1. Die Funktionen fn nehmen alle den Wert 1/2 an, der von der Grenzfunktion weit entfernt liegt. Dies motiviert die folgende Verstärkung der punktweisen Konvergenz:
Definition (gleichmäßige Konvergenz einer Funktionenfolge)
Sei P ⊆ ℝ, und seien fn : P → ℝ für alle n und f : P → ℝ. Es gelte
∀ε > 0 ∃n0 ∀n ≥ n0 ∀x ∈ P |f (x) − fn(x)| < ε. (gleichmäßige Konvergenzbedingung)
Dann sagen wir, dass (fn)n ∈ ℕ gleichmäßig gegen f konvergiert, und schreiben
f = limn → ∞ fn (gleichmäßig).
Die gleichmäßige Konvergenz besagt anschaulich, dass sich alle Funktionen fn schließlich in einem beliebig schmalen ε-Schlauch um f befinden. Der Allquantor über x steht hinter dem Existenzquantor für n0 (diese Vertauschung kennen wir schon von der gleichmäßigen Stetigkeit aus 5. 5). Rücken wir den Allquantor nach vorne, so erhalten wir die schwächere punktweise Konvergenzbedingung. Die gleichmäßige Konvergenz impliziert also die punktweise Konvergenz. Dass die Umkehrung im Allgemeinen nicht gilt, zeigen die obigen Beispiele. Nur die Funktionenfolge des ersten Beispiels ist gleichmäßig konvergent, die Funktionenfolgen in (2), (3) und (4) konvergieren punktweise, aber nicht gleichmäßig. Dennoch taucht die gleichmäßige Konvergenz in der Analysis recht häufig auf. Ein wichtiges Beispiel liefern die Potenzreihen, die wir in der nächsten Sektion besprechen werden.
Der große Vorteil der gleichmäßigen Konvergenz ist der Erhalt der Stetigkeit:
Satz (Stetigkeitssatz)
Es gelte f = limn fn (gleichmäßig) für Funktionen auf P ⊆ ℝ. Alle fn seien stetig. Dann ist auch f stetig.
Das Konzept der gleichmäßigen Konvergenz unterstützt die Sicht, dass die stetigen Funktionen doch wieder nicht so wild sind, wie es manchmal scheint. Ein großer Satz von Weierstraß besagt, dass für jede stetige Funktion f auf einem Intervall [ a, b ] eine Folge (fn)n ∈ ℕ von Polynomen existiert, die gleichmäßig gegen f konvergiert. So zerknittert eine stetige Funktion f auf [ a, b ] also auch sein mag: In jedem noch so schmalen ε-Schlauch um f findet sich ein „harmloses“ Polynom.