5.2 Grenzwerte von Funktionen
Definition (Grenzwerte und Limesnotationen für Funktionen)
Sei f : P → ℝ eine Funktion. Weiter sei p ∈ ℝ ein Berührpunkt von P, d. h., es gebe eine Folge (xn)n ∈ ℕ in P mit limn xn = p. Schließlich sei y ∈ ℝ. Dann schreiben wir
limx → p f (x) = y, | falls | für alle gegen p konvergenten Folgen |
(xn)n ∈ ℕ in P gilt, dass limn f (xn) = y. (Grenzwertbedingung für Funktionen) |
Wir nennen dann y den Grenzwert von f an der Stelle p und sagen, dass die Funktion f gegen y strebt, falls x in P gegen p strebt. Statt „limx → p f (x) = y“ schreiben wir auch „f (x) → y für x → p“.
Damit haben wir Grenzwerte für Funktionen, die wir anschaulich begründet aus der Schule kennen, auf Grenzwerte für Folgen zurückgeführt − und damit exakt definiert.
In der Definition verlangen wir nicht, dass p ∈ P = Def (f) gilt. Es muss aber eine Folge in P existieren, die gegen p konvergiert. Gilt p ∈ P, so ist dies immer der Fall, wie die konstante Folge (p)n ∈ ℕ zeigt. Ist p ∉ P, so ist dies der Fall, wenn p ein Häufungspunkt von P ist, d. h. wenn in jeder ε-Umgebung von p unendlich viele Punkte von P liegen.
Beispiele
(1) | 1 ist ein Berührpunkt von [ 0, 1/2 ] ∪ { 1 } und von [ 0, 1 [, nicht aber von [ 0, 9/10 ]. |
(2) | Sei f : [ 0, 1 [ → ℝ die Funktion mit f (x) = x2/2 für alle x ∈ [ 0, 1 [. Dann gilt limx → 1 f (x) = 1/2. |
(3) | Sei g : [ 0, 1 [ ∪ ] 1, 2 [ → ℝ mit g(x) = x2 für alle x ∈ [ 0, 1 [ und g(x) = 2 für alle x ∈ ] 1, 2 [. Dann existiert limx → 1 g(x) nicht, dagegen ist limx → 2 g(x) = 2. |
(4) | Die Limesnotation können wir auch auf Terme anwenden, etwa in limx → 1 x2 + 2 = 3. Als Faustregel gilt, dass der Definitionsbereich der durch den Term definierten Funktion so groß wie möglich ist, für x2 + 2 also ℝ, und in limx → 0 sin(x)/x = 1 also ℝ − { 0 }. Im Zweifel gibt man den Definitionsbereich besser an. |
Der Leser wir sich nun vielleicht fragen, warum wir Grenzwerte von Funktionen im Kapitel über Stetigkeit besprechen. Wir hätten sie in der Tat früher einführen können, doch ihre Bedeutung für den Stetigkeitsbegriff beruht auf der folgenden eleganten und suggestiven Formulierung der Stetigkeit:
Stetigkeit als Grenzwerteigenschaft von Funktionen
Ein f : P → ℝ ist genau dann stetig in p ∈ P, wenn limx → p f (x) = f (p).
Hier wird p ∈ P vorausgesetzt. Der Fall p ∉ P spielt bei stetigen Fortsetzungen eine Rolle, die wir in 5. 7 besprechen.
Der Grenzwertbegriff für Funktionen besitzt viele Spielarten. In der folgenden Tabelle ist f : P → ℝ, y ∈ [ −∞, +∞ ] und es soll stets eine Folge geben, die unter den betrachteten Bedingungen (eigentlich oder uneigentlich) gegen p konvergiert.
limx → p, x ≠ p f (x) = y | Für alle (xn)n ∈ ℕ in P − { p } mit limn xn = p gilt limn f (xn) = y. |
limx ↓ p f (x) = y | Für alle (xn)n ∈ ℕ in P ∩ ] p, ∞ [ mit limn xn = p gilt limn f (xn) = y. |
limx ↑ p f (x) = y | Für alle (xn)n ∈ ℕ in P ∩ ] −∞, p [ mit limn xn = p gilt limn f (xn) = y. |
limx → ∞ f (x) = y | Für alle (xn)n ∈ ℕ in P mit limn xn = +∞ gilt limn f (xn) = y. |
limx → −∞ f (x) = y | Für alle (xn)n ∈ ℕ in P mit limn xn = − ∞ gilt limn f (xn) = y. |
Die Ausdrücke „x ↓ p“ und „x ↑ p“ lesen wir als „x strebt von oben gegen p“ bzw. als „x strebt von unten gegen p“. Der entsprechende Grenzwert y heißt auch der rechtsseitige bzw. linksseitige Grenzwert von f an der Stelle p. Für diese beiden Konvergenztypen kann man auch nur monoton fallende bzw. monoton wachsende Folgen zulassen. Es gilt:
Stetigkeitsformulierung über links- und rechtsseitige Grenzwerte
Ein f : P → ℝ ist genau dann stetig in p ∈ P, falls gilt:
limx ↑ p f (x) = f (p) = limx ↓ p f (x),
wobei eine Limesbedingung zu streichen ist, wenn keine zugehörige Folge existiert (z. B. die rechte für p = +∞ oder für p = sup(P), oder beide für P = { p }).
Beispiele
(1) | Sei f : ] 0, 1 [ ∪ ] 1, +∞ [ → ℝ mit f (x) = −1/x für alle x. Dann gilt limx ↑ 1 f (x) = −1 = limx ↓ 1 f (x), limx → 0 f (x) = −∞, limx ↑ ∞ f (x) = 0. |
(2) | Sei f : ℝ → ℝ mit f (x) = 0 für x ≤ 0, f (x) = 1 für x > 0. Dann gilt limx ↑ 0 f (x) = 0, limx ↓ 0 f (x) = 1. |
Warnung: Unterschiedliche Konventionen
In der Literatur sind in „limx → p f (x) = y“ oft nur Folgen in P − { p } zugelassen, d. h., der Ausdruck bedeutet „limx → p, x ≠ p f (x) = y“ in unserer Notation. Dies kann eine Fehlerquelle sein, denn ist p ∈ P und existiert limx → p f (x) = y in unserer Notation, so ist y = limn f (p) = f (p), d. h., f ist stetig in p. Dagegen folgt aus limx → p, x ≠ p f (x) = y nicht notwendig, dass y = f (p).