5.9Der Extremwertsatz von Weierstraß

Satz (Extremwertsatz, Annahme von Maximum und Minimum)

Sei f : [ a, b ]   stetig. Dann ist f beschränkt und es gibt p, q  ∈  [ a, b ] mit:

(a)

f (p) ist das Maximum des Wertebereichs von f, d. h., es gilt

f (x)  ≤  f (p)  für alle x  ∈  [ a, b ],

(b)

f (q) ist das Minimum des Wertebereichs von f, d. h., es gilt

f (q)  ≤  f (x)  für alle x  ∈  [ a, b ].

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 Der Extremwertsatz ist vielleicht ähnlich einleuchtend wie der Zwischenwertsatz. Eine stetige Funktion muss auf dem Weg von f (a) nach f (b) irgendwann einen maximalen und irgendwann einen minimalen Wert erreichen und annehmen, das kennen wir von jeder Bergwanderung. Auch hier gilt wieder, dass ein Beweis unerlässlich ist. Anschauungen ersetzen keine Beweise, und zudem basiert die Anschauung sehr stark auf einem „zeichenbaren Funktionsgraphen“, was den Stetigkeitsbegriff nicht voll einfängt.

Beweisskizze

Diesmal ist es der Satz von Bolzano-Weierstraß, der zum Beweis herangezogen wird, also erneut ein relativ starkes und abstraktes Geschütz. Man startet mit einer Folge (f (xn))n  ∈   im Wertebereich von f, die gegen das Supremum des Wertebereichs konvergiert, falls dieser nach oben beschränkt ist, und gegen +∞ im anderen Fall. (Letzteres kann nicht passieren, aber das weiß man an dieser Stelle noch nicht).

Nun wendet man den Satz von Bolzano-Weierstraß auf die Folge (xn)n  ∈   im Definitionsbereich an. Dies liefert einen Häufungspunkt p der Folge, und man zeigt nun mit Hilfe der Stetigkeit von f im Punkt p, dass die Funktion f im Punkt p wie gewünscht ihr Maximum annimmt. Eine analoge Argumentation oder ein Übergang zu −f zeigt die Annahme des Minimums.

 Eine stetige Funktion auf einem Intervall [ a, b ] kann ihr Maximum und ihr Minimum mehrfach annehmen, man betrachte etwa den Kosinus auf dem Intervall [ 0, 6 π ]. Eine konstante Funktion nimmt sogar in jedem Punkt ihr Minimum und ihr Maximum an. Umgekehrt gilt: Ist das Minumum einer Funktion gleich ihrem Maximum, so ist die Funktion konstant.

 Der Extremwertsatz ist für stetige Funktionen, die auf offenen oder halboffenen Intervallen definiert sind, im Allgemeinen nicht mehr gültig:

Beispiele

(1)

Die Funktion f : ] 0, 1 ]   mit f (x) = 1/x nimmt ihr Minimum 1 im Punkt 1 an, aber ihr Wertebereich [ 1, +∞ [ ist nach oben unbeschränkt und hat kein Maximum.

(2)

Die Funktion g : ] 0, 1 [  ] 0, 1 [ mit f (x) = x hat den beschränkten Wertebereich ] 0, 1 [, der kein Minimum und kein Maximum besitzt. Das Supremum des Wertebereichs ist 1, aber der Wert 1 wird nicht angenommen.

 Der Zwischenwertsatz und der Extremwertsatz lassen sich sehr ansprechend zu einem einzigen Satz zusammenfassen:

Satz (Wertebereich stetiger Funktionen)

Sei f : [ a, b ]   stetig. Dann gibt es c ≤ d in  mit Bild(f)  =  [ c, d ].

 Der Zwischenwertsatz sorgt dafür, dass das Bild von f ein Intervall ist, und der Extremwertsatz garantiert, dass die Randpunkte des Bildes angenommen werden und also das Bildintervall abgeschlossen ist.

 Beschränkte abgeschlossene Intervalle nannten wir auch kompakt (vgl. 2. 9). Damit kann man den Satz sehr griffig formulieren:

Stetige Funktionen bilden kompakte Intervalle auf kompakte Intervalle ab.

 Allgemein gilt, dass stetige Funktionen Intervalle auf Intervalle abbilden. Das stetige Bild eines offenen Intervalls kann nun aber offen, abgeschlossen oder halboffen sein, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Beispiele

(1)

Die Funktion f : ] 0, 1 [   mit f (x) = x hat das Bild ] 0, 1 [.

(2)

Die Funktion g : ] 0, 1 [   mit g(x) = 1 hat das Bild { 1 } = [ 1, 1 ].

(3)

Die Funktion h : ] 0, 1 [   mit h(x) = |x − 1/2| hat das Bild [ 0, 1/2 [.

 Den kompakten Intervallen der Form [ a, b ] kommt in der Analysis eine besondere Bedeutung zu. Beispiele sind:

Prinzip der Intervallschachtelung

Jede Intervallfolge [ a, b ] ⊇ [ a1, b1 ] ⊇ … besitzt einen nichtleeren Schnitt.

Satz von Bolzano-Weierstraß

Jede Folge in [ a, b ] besitzt einen Häufungspunkt in [ a, b ].

Satz über die gleichmäßige Stetigkeit

Jede stetige Funktion auf [ a, b ] ist gleichmäßig stetig.

Satz über den Wertebereich

Jede stetige Funktion auf [ a, b ] besitzt ein Intervall [ c, d ] als Bild.