6.1Polynome

Definition (reelle und komplexe Polynome)

Sei f :    eine Funktion der Form

f (x)  =  ak xk  +  ak − 1 xk − 1  +  …  +  a1 x  +  a0  für alle x  ∈  ,

mit a0, …, ak  ∈  . Dann heißt f eine reelle Polynomfunktion oder kurz ein reelles Polynom mit den Koeffizienten a0, …, ak.

(a)

Ist ak ≠ 0, so heißt k der Grad und ak der Leitkoeffizient von f.

Gilt ak = 1, so heißt das Polynom normiert.

(b)

Gilt f (x) = 0 für alle x (d. h., sind alle Koeffizienten gleich 0), so heißt f das Nullpolynom. Wir ordnen ihm den symbolischen Grad − ∞ zu.

Analog sind komplexe Polynome f :    und die zugehörigen Sprechweisen definiert. Die Koeffizienten sind dann komplexe Zahlen.

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f (x)  =  (x + 4) (x + 1) (x − 5) (x − 9) (x − 14)1500

 Polynome sind die Grundfunktionen der Analysis. Sie sind relativ einfach beherrschbar und eignen sich, um andere Funktionen durch Approximation beherrschbar zu machen. Potenzreihen, deren Partialsummen Polynome sind, hatten wir schon kennengelernt. Im Satz von Taylor werden wir diesen Approximationsgedanken weiterverfolgen (vgl. 7. 12).

 Der Graph des Nullpolynoms ist die x-Achse. Der Graph eines Polynoms vom Grad 0 ist eine zur x-Achse parallele, aber von der x-Achse verschiedene Gerade. Dem Grad 1 entsprechen die Geraden mit einer von null verschiedenen Steigung. Die Graphen der Polynome zweiten Grades sind Parabeln und ab dem Grad 3 zeigen sich die typischen polynomiellen Auf- und Abbewegungen.

Beispiele

(1)

„f (x)  =  2 x3 − x2 + x für alle x  ∈  “ definiert ein reelles Polynom zweiten Grades. Um die Sprechweise zu vereinfachen, identifiziert man in der Analysis Terme manchmal mit den durch sie definierten Funktionen (mit maximalem Definitionsbereich). Dann ist 2 x3 − x2 + x ein Polynom.

(2)

(x − 4) (2 x + 5) (x − 1) x ist ein reelles Polynom vierten Grades.

(3)

z3  +  2 i z2 − z + i ist ein komplexes Polynom dritten Grades.

(4)

|x| und 1/x sind keine Polynome.

 Die Summe und das Produkt zweier Polynome ist wieder ein Polynom. Die Division zweier Polynome führt dagegen zu den rationalen Funktionen, die wir in der nächsten Sektion besprechen.

 Die algebraische Struktur der Polynome erlaubt es, für Polynome wie für ganze Zahlen eine Division mit Rest durchzuführen. Es gilt:

Satz (Polynomdivision)

Seien f, g (reelle oder komplexe) Polynome mit positivem Grad. Dann gibt es eindeutige Polynome q und r mit

f  =  q g  +  r  und  Grad(r) < Grad(g).

 Im Satz kann r das Nullpolynom sein. In diesem Fall heißt g ein Teilerpolynom oder kurz ein Teiler von f.

Beispiel

Sei f :    ein komplexes Polynom mit Grad(f) ≥ 1, und sei w  ∈  . Die Division von f durch (z − w) liefert Polynome q und r mit

f  =  q (z − w)  +  r  mit  Grad(r)  <  1.

Speziell ist f (w) = q(w) (w − w) + r(w) = r(w). Wegen Grad(r) < 1 ist r eine konstante Funktion. Ist also w eine Nullstelle von f, so ist r das Nullpolynom und es gilt

f  =  q (z − w).  (Abspalten von Nullstellen)

 Der Fundamentalsatz der Algebra liefert durch eine wiederholte Abspaltung von Nullstellen für jedes komplexe Polynom f eine Zerlegung in Linearfaktoren:

f  =  (z − w1) (z − w2) … (z − wk),  k = Grad(f).

Die Nullstellen wi können dabei mehrfach auftreten.

 Die Macht des Imaginären über das Reelle ist groß und schenkt uns ein Zerlegungsergebnis für reelle Polynome. Ist g :    ein reelles Polynom vom Grad k, so sei f :    das komplexe Polynom, das entsteht, wenn wir in f die reelle Variable x durch die komplexe Variable z ersetzen. Ist w eine reelle Nullstelle von f, so ist w auch eine Nullstelle von g. Andernfalls ist w eine weitere Nullstelle von f. Dann ist

(x − w) · (x − w)  =  x2  −  2 Re(w) x  +  w w

ein reelles Polynom zweiten Grades. Diese Überlegung zeigt, dass ein reelles Polynom als Produkt von reellen Linearfaktoren und reellen Polynomen zweiten Grades geschrieben werden kann, die Nullstellen in , aber nicht in  besitzen.

 Aus der Zerlegung in Linearfaktoren folgt, dass ein Polynom k-ten Grades höchstens k Nullstellen besitzen kann. Eine hübsche Anwendung ist der Identitätssatz für Polynome: Stimmen Polynome f und g k-ten Grades auf (k + 1)-vielen Punkten überein, so gilt f = g. Denn f − g hat einen Grad kleinergleich k und (k + 1)-viele Nullstellen. Also gilt f − g = 0 und damit f = g.