8.10 Uneigentliche Integrale
Definition (Uneigentliches Integral für halboffene und offene Intervalle)
Uneigentliches Integral für halboffene Intervalle
Sei f : [ a, b [ → ℝ, b ≤ +∞. Dann setzen wir im Fall der Existenz
∫baf = limc ↑ b ∫caf ∈ [ −∞, +∞ ].
Analog setzen wir für f : ] a, b ] → ℝ, a ≥ −∞ im Fall der Existenz
∫baf = limd ↓ a ∫bdf ∈ [ −∞, +∞ ].
Uneigentliches Integral für offene Intervalle
Das uneigentliche Integral für offene Intervalle basiert auf zwei unabhängigen Grenzübergängen.
Sei f : ] a, b [ → ℝ mit −∞ ≤ a < b ≤ +∞. Dann setzen wir im Fall der Existenz
∫baf = ∫saf + ∫bsf ∈ [ −∞, +∞ ],
mit s ∈ ] a, b [ beliebig.
Existiert r = ∫baf ∈ [ −∞, +∞ ] für eine auf einem halboffenen oder offenen Intervall definierte Funktion f, so heißt f uneigentlich integrierbar und r das uneigentliche Integral von f.
Das betrachtete Integral ist dabei das Riemann- oder das Regelintegral.
Die Formulierung „im Fall der Existenz“ beinhaltet sowohl die Existenz der Integrale auf allen beschränkten Teilintervallen [ c, d ] des Definitionsbereichs als auch die der Grenzwerte, wobei letztere auch uneigentlich sein dürfen. Speziell muss f beschränkt auf allen Teilintervallen [ c, d ] sein. Auch mit dem uneigentlichen Integral kann man also nicht über Polstellen hinwegintegrieren.
Für eine Funktion f : ] a, b [ → ℝ sind die folgenden drei Bedingungen notwendig und hinreichend für die uneigentliche Integrierbarkeit:
(a) | f|[ c, d ] ist integrierbar für alle [ c, d ] ⊆ ] a, b [. |
(b) | Es gibt ein c ∈ ] a, b [, sodass ∫caf und ∫bcf existieren. |
(c) | ∫caf + ∫bcf ist nicht von der Form −∞ + ∞ oder +∞ − ∞. |
Beispiele
(1) | ∫101x dx = limc ↓ 0 ∫1c1x dx = limc ↓ 0 = +∞. |
(2) | ∫10 dx = limc ↓ 0 ∫1cx− 1/2 dx = limc ↓ 0 = 2. |
(3) | ∫∞−∞ x dx existiert nicht, obwohl limr ↑ ∞ ∫r−r x dx = 0. |
(4) | Sei f : [ 0, +∞ [ → ℝ mit f (x) = sin(x)/x für x > 0 und f (0) = 1. Dann ist f stetig und uneigentlich integrierbar. Denn die signierten Inhalte der von f und der x-Achse eingeschlossenen Einzelflächen bilden eine alternierende Reihe, die nach dem Leibniz-Kriterium konvergiert. |
(5) | Sei g : [ −1, 1 ] → ℝ definiert durch g(x) = |x|−1/2 für x ≠ 0 und g(0) = 0. Dann ist g unbeschränkt, also nicht integrierbar. Nach (2) schließt f die Fläche 4 mit der x-Achse ein. Dies kann man durch Beschneiden des Wertebereichs und lims ↑ ∞ ∫1−1 min(f (x), s) dx = 4 zum Ausdruck bringen. Dieser Grenzübergang ist aber kein Bestandteil des oben definierten uneigentlichen Integrals. Man könnte ihn als erneute Erweiterung des Integrals durchführen. |
Uneigentliche Integrale führen zu einem neuen Konvergenzkriterium für Reihen:
Integralvergleichskriterium
Seien m ∈ ℕ und f : [ m, +∞ [ → [ 0, +∞ [ monoton fallend. Dann konvergiert ∑n ≥ m f (n) genau dann, wenn das uneigentliche Integral von f endlich ist.
Die Endlichkeit des uneigentlichen Integrals ist äquivalent zur Endlichkeit von ∑n ≥ m f (n) = ∑n ≥ m (f (n) · 1).
Beispiele
(1) | Die Reihe ∑n ≥ 1 1/n divergiert, da ∫+∞1 1/x dx = limc → ∞ log(c) = +∞. |
(2) | Die Reihe ∑n ≥ 1 1/n2 konvergiert, da ∫+∞1 1/x2 dx = limc → ∞ (1 − 1/c) = 1. |