8.4Das Regelintegral

Definition (Regelfunktionen und Regelintegral)

1. Schritt:  Integral für Treppenfunktionen

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Integral für Treppenfunktionen

Sei f : [ a, b ]   eine Treppenfunktion, und seien p = (tk)k ≤ n eine Partition von [ a, b ] und c0, …, cn  ∈   mit

f (x)  =  ck  für alle x  ∈  ] tk, tk + 1 [.

Dann definieren wir das Regelintegral R(f)  ∈   von f durch

R(f)  =  k ≤ n ck (tk + 1 − tk).

2. Schritt:  Integral für Regelfunktionen

Ein f : [ a, b ]   heißt eine Regelfunktion, falls es eine Folge (fn)n  ∈   von Treppenfunktionen auf [ a, b ] gibt mit

f  =  limn fn  (gleichmäßig).

Dann definieren wir das Regelintegral R(f)  ∈   von f durch

R(f)  =  limn R(fn).

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Treppenfunktion im ε-Schlauch um f

 Vom elementargeometrischen (signierten) Flächeninhalt einer Treppenfunktion führt uns eine natürliche Grenzwertbildung zu einer weiteren Variante des Integrals. Es ist für alle Funktionen f auf [ a, b ] erklärt, die sich gleichmäßig durch Treppenfunktionen approximieren lassen, d. h. für die in jedem ε-Schlauch um f eine Treppenfunktion liegt. Dies ist für viele Funktionen der Fall, aber das Regelintegral ist im Gegensatz zum Darboux-Integral nicht mehr äquivalent zum Riemann-Integral: Mit dem Riemann-Integral kann man mehr Funktionen integrieren (siehe unten).

 In der Definition werden spezielle Repräsentanten zur Definition von R(f) benutzt. Eine Treppenfunktion lässt sich auf vielerlei Weisen mit Partitionen darstellen und eine Regelfunktion kann auf vielerlei Weisen gleichmäßig durch Treppenfunktionen approximiert werden. Man kann aber zeigen, dass R(f) wohldefiniert ist, d. h., R(f) hängt nicht von den gewählten Repräsentanten ab.

 Eine von Treppenfunktionen unabhängige Charakterisierung lautet:

Charakterisierung der Regelfunktionen

Ein f : [ a, b ]   ist genau dann eine Regelfunktion, wenn f links- und rechtsseitige Grenzwerte besitzt, d. h. wenn gilt:

(a)

lim p f (x)  und  lim p f (x) existieren  für alle p  ∈  ] a, b [,

(b)

lim a f (x)  und  lim b f (x) existieren.

Beispiele

(1)

Jede stetige Funktion f ist eine Regelfunktion. Die links- und rechtsseitigen Grenzwerte existieren (und stimmen überein).

(2)

Jede monotone Funktion auf [ a, b ] ist eine Regelfunktion (und beschränkt durch max(|f (a)|, |f (b)|)). Die Grenzwerte existieren, da jede beschränkte monotone Folge in  konvergiert.

(3)

Sei c  ∈  [ 0, 1 ] irrational und sei f : [ 0, 1 ]   mit f (x) = 0 für x ≤ c und f (x) = 1 für x > c. Dann ist f eine Treppenfunktion. Im 1/2-Schlauch um f liegt keine Treppenfunktion mit einer äquidistanten Partition, da derartige Partitionen von [ 0, 1 ] rationale Zerlegungspunkte besitzen. Das Beispiel zeigt, dass wir uns für das Regelintegral nicht auf äquidistante Partitionen beschränken können.

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(4)

Sei f : [ 0, 1 ]  [ 0, 1 ] die Funktion mit f (1/2n) = 1 für alle n und f (x) = 1/2 sonst. Dann ist f keine Regelfunktion, da lim 0 f (x) nicht existiert (oder weil im 1/4-Schlauch um f keine Treppenfunktion liegt).

 Für „Regelintegral versus Riemann-Integral“ gilt:

Jede Regelfunktion ist Riemann-integrierbar und es gilt R(f)  =  I(f)  ( =  baf dx).

Die Umkehrung ist jedoch nicht richtig:

Beispiel

Die Funktion f in (4) ist Riemann-integrierbar mit I(f) = 0. Denn ein Intervall [ 0, ε/2 ] trägt höchstens ε/2 zu einer Riemann-Summe p f bei. In [ ε/2, 1 ] ist f nur endlich oft ungleich 0. Der Beitrag von p f in [ ε/2, 1 ] ist also für hinreichend feine Partitionen kleiner als ε/2. Für diese Partitionen gilt also p f < ε.

 Aus der Darbouxschen Integrierbarkeitsbedingung erhält man, dass eine Funktion f : [ a, b ]   genau dann Riemann-integrierbar ist, wenn gilt:

Für alle ε > 0 gibt es Treppenfunktionen g, h auf [ a, b ] mit g ≤ f ≤ h und I(h) − I(g) < ε. (Integrierbarkeitsbedingung, II)

Riemann-integrierbare Funktionen lassen sich also zwischen zwei Treppenfunktionen einschließen, deren Integraldifferenz beliebig klein wird. Dies ist schwächer als die gleichmäßige Approximierbarkeit durch Treppenfunktionen !

 Das Riemann-Integral ist also eine echte Fortsetzung des Regelintegrals. Das Regelintegral umfasst aber hinreichend viele Funktionen, sodass es durchaus eine Alternative zum Riemann-Integral darstellt, auch vor dem Hintergrund, dass beide Integrale in der höheren Analysis durch das sog. Lebesgue-Integral noch einmal erweitert werden.