8.7 Der Mittelwertsatz der Integralrechnung
Satz (Mittelwertsatz der Integralrechnung für das Riemann- oder Regelintegral)
Sei f : [ a, b ] → ℝ integrierbar und es gelte s ≤ f (x) ≤ S für alle x ∈ [ a, b ].
Einfacher Mittelwertsatz
Es gibt ein m ∈ [ s, S ] mit
∫baf = m (b − a).
Ist der Wertebereich von f ein Intervall, so gibt es ein p ∈ [ a, b ] mit
∫baf = f (p) (b − a). (Annahme des Mittelwerts)
Mittelwertsatz mit Gewichtsfunktion
Sei g : [ a, b ] → [ 0, +∞ [ integrierbar. Dann existiert ein m ∈ [ s, S ] mit
∫baf g = m ∫bag.
Ist der Wertebereich von f ein Intervall, so gibt es ein p ∈ [ a, b ] mit
∫baf g = f (p) ∫bag. (Annahme des gewichteten Mittelwerts)
Für eine integrierbare Funktion f : [ a, b ] → ℝ, a < b, heißt die reelle Zahl
M(f) = 1b − a ∫baf
der Mittelwert von f. Das Rechteck
hat dieselbe signierte Fläche, die f mit der x-Achse einschließt. Dies erklärt die Bezeichnung als „Mittelwert“. Der Mittelwertsatz besagt, dass M(f) zwischen s und S liegt, falls alle Funktionswerte zwischen s und S liegen. Der Beweis ist einfach: Aufgrund der Monotonie des Integrals folgt aus s ≤ f (x) ≤ S für alle x, dass
s (b − a) = ∫bas ≤ ∫baf ≤ ∫baS = S (b − a). |
Also existiert ein m ∈ [ s, S ] mit
m (b − a) = ∫baf. |
Der Zusatz für Funktionen, deren Wertebereich ein Intervall ist (wie z. B. für stetige Funktionen), ergibt sich, wenn wir s = infx ∈ [ a, b ] f (x) und S = supx ∈ [ a, b ] f (x) setzen.
Die zweite Version des Mittelwertsatzes bringt eine nichtnegative sog. Gewichtsfunktion g ins Spiel. Die erste Version entspricht dem Spezialfall g = 1.
Beispiele
(1) | Sei f : [ a, b ] → ℝ, a < b, stetig mit Integral I(f) = 0. Dann gibt es ein p ∈ [ a, b ] mit f (p) (b − a) = I(f) = 0. Also besitzt f eine Nullstelle. |
(2) | Sei f : [ a, b ] → ℝ stetig, und sei (tk)k ≤ n eine Partition von [ a, b ]. Nach dem Mittelwertsatz gibt es xk ∈ [ tk, tk + 1 ] mit ∫tk + 1tk f = f (xk) (tk + 1 − tk) für alle k ≤ n (wobei wieder tn + 1 = b). Ergänzen wir p um die Stützstellen xk, so gilt ∫baf = ∑k ≤ n ∫tk + 1tk f = ∑k ≤ n f (xk) (tk + 1 − tk) = ∑p f. Das Integral über f ist also eine gewisse Riemann-Summe bzgl. p. |
(3) | Seien f, g : [ −1, 1 ] → ℝ mit f (x) = g(x) = x für alle x. Dann gilt ∫1−1 f g = ∫1−1 x2 dx = 2/3 > 0, aber m · ∫1−1 g = m · 0 = 0 für alle m. Die Voraussetzung „g ≥ 0“ ist also wesentlich. |
Der Mittelwertsatz spielt eine tragende Rolle im Beweis des Hauptsatzes, den wir in der nächsten Sektion diskutieren werden. Das wesentliche Argument lässt sich schön isolieren und wir gestatten uns hier also einen Vorgriff:
Zusammenhang zwischen Integration und Differentiation
Sei f : [ a, b ] → ℝ stetig. Wir setzen
F(x) = ∫xaf (t) dt für alle x ∈ [ a, b ]. |
Dann beschreibt F : [ a, b ] → ℝ das Flächenwachstum des Graphen von f auf dem Weg von a nach b. Ist nun x ∈ [ a, b ], so gibt es nach dem Mittelwertsatz für alle h mit x + h ∈ [ a, b ] ein p zwischen x und x + h mit
∫x+hx f (t) dt = f (p) ((x + h) − x) = f (p) h, sodass
limh → 0 F(x + h) − F(x)h = limh → 0 1h ∫x+hx f (t) dt = limp → x f (p) = f (x),
wobei wir zuletzt die Stetigkeit von f verwenden. Dies zeigt, dass die Flächenzuwachsfunktion F differenzierbar und eine Stammfunktion von f ist, d. h., es gilt F′ = f.