3.9 Die Existenz von Basen
Satz (allgemeiner Basisexistenz- und Basisergänzungssatz)
Jeder Vektorraum V besitzt eine Basis. Genauer gilt: Ist A0 ⊆ V linear unabhängig, so existiert eine Basis B von V mit B ⊇ A0.
Das durch die Inklusion ⊆ partiell geordnete System aller linear unabhängigen Teilmengen von V erfüllt die Kettenbedingung, denn die Vereinigung einer Kette linear unabhängiger Mengen
ist linear unabhängig. Damit ist das Zornsche Lemma anwendbar.
Im Diagramm ist
𝒜 eine Kette und
S = ⋃ 𝒜. S ist eine obere Schranke von 𝒜. Ketten können sehr lang sein, eine mit Hilfe der natürlichen Zahlen gebildete schrittweise Erweite-
rung einer linear unabhängigen Menge
A0 führt in der Regel nicht zu einer Basis.
Unter den unendlich-dimensionalen Vektorräumen konnten wir bislang nur für die Vektorräume der Form K(I) eine Basis angeben. Der Satz besagt nun, dass jeder Vektorraum eine Basis besitzt, und stärker, dass der Basisergänzungssatz für jeden Vektorraum gilt. Speziell gibt es Basen des ℝℕ, des ℝℝ und des ℚ-Vektorraums ℝ.
Der Basisexistenzsatz nimmt eine besondere Stellung in der Linearen Algebra ein: Er lässt sich nur mit Hilfe des Auswahlaxioms beweisen (und ist sogar äquivalent zu diesem Axiom, vgl. 1. 11). Die natürliche Frage „Hat jeder Vektorraum eine Basis?“ ist überraschenderweise mit den Grundlagen der Mathematik verknüpft.
Der Beweis des Satzes wird üblicherweise mit Hilfe des Zornschen Lemmas geführt (vgl. 1.12). Abgesehen von diesem abstrakten Hilfsmittel ist der Beweis überraschend kurz. Er ist zudem typisch für andere Anwendungen des Zornschen Lemmas, wie sie in der Algebra und Funktionalanalysis auftauchen. Sei
ℬ = { A ⊆ V | A ist linear unabhängig }.
Ist 𝒜 eine bzgl. der Inklusion linear geordnete Teilmenge von ℬ, d. h., gilt A1 ⊆ A2 oder A2 ⊆ A1 für alle A1, A2 ∈ 𝒜, so ist die Menge
⋃ 𝒜 = { v ∈ V | es gibt ein A ∈ 𝒜 mit v ∈ A }
linear unabhängig, also ein Element von ℬ. Das Zornsche Lemma liefert nun die Existenz eines ⊆-maximalen Elements B ∈ ℬ. Nach Konstruktion ist B eine linear unabhängige Menge von Vektoren, die sich nicht mehr vergrößern lässt, ohne die lineare Unabhängigkeit zu zerstören. Damit ist B eine Basis von V. Der allgemeine Basisergänzungssatz wird genauso bewiesen, wobei man nun mit dem folgenden Mengensystem arbeitet:
ℬA0 = { A ⊆ V | A ist linear unabhängig und A0 ⊆ A }.
Die Vektorraumtheorie bleibt unvollständig, wenn die Frage der Existenz von Basen nicht angesprochen wird. Andererseits muss ein Anfänger hier auch nicht zu tief einsteigen. Wir beenden diese Sektion mit zwei Exkursen, die sich an interessierte Leser wenden, die mehr wissen wollen.
Exkurs I: Hamel-Basen
Wir betrachten den ℚ-Vektorraum ℝ. Der Skalarenkörper ist hier „künstlich“ auf die rationalen Zahlen beschränkt, die Vektoren sind dagegen beliebige reelle Zahlen. Eine Basis B dieses Vektorraums nennt man auch eine Hamel-Basis. Ist B ⊆ ℝ eine Hamel-Basis, so lässt sich jede reelle Zahl x eindeutig schreiben als
x = q1b1 + … + qnbn
mit n ≥ 0 und qi ∈ ℚ*, bi ∈ B für alle 1 ≤ i ≤ n. Die explizite Angabe einer Hamel-Basis ist unmöglich, die Basis B bleibt abstrakt, nur das Auswahlaxiom garantiert die Existenz. Hamel-Basen erlauben jedoch bemerkenswerte Konstruktionen. Für ein Beispiel betrachten wir additive Funktionen f : ℝ → ℝ, also Funktionen mit der Eigenschaft
f(x + y) = f (x) + f (y) für alle x, y ∈ ℝ.
Jede Gerade g : ℝ → ℝ durch den Nullpunkt ist additiv, und man kann zeigen, dass eine stetige additive Funktion eine Gerade durch den Nullpunkt ist. Mit Hilfe von Hamel-Basen lassen sich nun aber auch unstetige additive Funktionen konstruieren. Wir definieren hierzu f : ℝ → ℝ durch
f (x) = q1 + … + qn ∈ ℚ, mit x = q1b1 + … + qnbn wie oben.
Die rationale Zahl f (x) ist also die Summe der Einträge des Koordinatenvektors vB von v bzgl. B. Die Funktion f ist additiv. Aber es gilt Bild(f) = ℚ, denn ist b ∈ B beliebig, so gilt f (q b) = q für alle q ∈ ℚ. Nach dem Zwischenwertsatz ist f unstetig, denn eine stetige Funktion nimmt mit q < r auch alle Werte in [ q, r ] an.
Exkurs II: Moduln
Ein Vektorraum ist mit einem Skalarenkörper K ausgestattet. Allgemeiner kann man statt eines Körpers einen Ring zugrunde legen. Die Axiome bleiben gleich. Statt von Vektorräumen spricht man dann von Moduln. („Modul“ wird auf dem „o“ betont, nicht auf dem „u“.) Ein Modul fühlt sich an wie ein Vektorraum, wir dürfen aber im Allgemeinen nicht mehr durch Skalare α ≠ 0 dividieren. Bemerkenswerterweise ist der Basisexistenzsatz für Moduln nicht mehr gültig. Es gibt sogar endliche Moduln, die keine Basis besitzen. Ein Beispiel liefert das Rechnen in ℤ modulo 4, also der Modul ℤ4 = { [ 0 ], [ 1 ], [ 2 ], [ 3 ] } über dem Skalarenring ℤ. Die Skalarmultiplikation wird wie üblich durch a[ k ] = [ a k ] für alle a ∈ ℤ und [ k ] ∈ ℤ4 erklärt. Dieser Modul hat keine Basis, denn für alle [ k ] ∈ ℤ4 ist ([ k ]) linear abhängig, da
0 = [ 0 ] = [ 4 k ] = 4 [ k ] eine nichttriviale Darstellung der Null ist.
Interessant ist auch der Modul ℤ über dem Skalarenring ℤ. Hier gilt:
(a) | (1) ist eine Basis, |
(b) | (2, 3) ist erzeugend (da a = a 3 − a 2 für alle a ∈ ℤ), |
(c) | (2, 3) ist linear abhängig (da 3 · 2 − 2 · 3 = 0), |
(d) | es gibt keine Basis B ⊆ (2, 3) (da weder (2) noch (3) erzeugend ist). |