4.6 Konstruktion linearer Abbildungen
Satz (Konstruktionssatz)
Seien V, W K-Vektorräume, (vi)i ∈ I eine Basis von V und (wi)i ∈ I eine Familie in W. Dann gibt es genau eine lineare Abbildung f : V → W mit der Eigenschaft
f (vi) = wi für alle i ∈ I.
Es gibt genau eine lineare Abbildung f : ℝ2 → ℝ2 mit f (e1) = w1 = (1, 1) und f (e2) = w2 = (−2, 1). Damit ist durch die beiden Werte insbesondere das Bild f[ K ] des Einheitskreises K = { (x, y) ∈ ℝ2 | x2 + y2 = 1 } festgelegt. Wir werden in Kapitel 8 zeigen, dass f[ K ] für jede Wahl von w1 und w2 eine Ellipse ist.
Anders formuliert:
Die Werte einer linearen Abbildung f lassen sich auf einer Basis beliebig vorschreiben, und f ist durch diese Werte eindeutig bestimmt.
Zum Nachweis der Existenz setzen wir
f (v) = ∑i ∈ I αi wi für alle v = ∑i ∈ I αi vi ∈ V.
Durch die Eindeutigkeit der Darstellung von Vektoren in V bzgl. (vi)i ∈ I entsteht so eine wohldefinierte Abbildung f : V → W mit f (vi) = wi für alle i ∈ I. Man überprüft leicht, dass f linear ist. Sind umgekehrt f, g : V → W linear mit
f (vi) = wi = g(vi) für alle i ∈ I,
so gilt für alle v = ∑i ∈ I αi vi ∈ V, dass
f (v) = ∑i ∈ I αi f (vi) = ∑i ∈ I αi wi = ∑i ∈ I αi g(vi) = g(v).
Beispiele
(1) | Sei (e1, e2, e3) die kanonische Basis des ℝ3. Dann gibt es genau eine lineare Abbildung f : ℝ3 → ℝ4 mit f (e1) = (1, 0, 1, 1), f (e2) = (1, 0, 1, 1), f (e3) = (0, 1, 0, 1). |
(2) | Seien f, g : ℝ2 → ℝ2 lineare Abbildungen mit f(1, 1) = g(1, 1), f(1, 2) = g(1, 2). Dann gilt f = g, da (1, 1) und (1, 2) eine Basis des ℝ2 bilden. |
(3) | Sei f : ℝ2 → ℝ2 eine lineare Abbildung mit f(1, 0) = (0, 1), f(0, 1) = (−1, 0). Dann ist f die Drehung um π/2 gegen den Uhrzeigersinn. |
Eine wichtige Folgerung des Konstruktionssatzes ist:
Fortsetzungssatz für lineare Abbildungen
Seien V, W K-Vektorräume und sei U ein Unterraum von V. Weiter sei f : U → W linear. Dann gibt es eine lineare Abbildung g : V → W mit g|U = f.
Ergänzen wir nämlich eine Basis (vi)i ∈ J von U zu einer Basis (vi)i ∈ I, I ⊇ J, von V nach dem Basisergänzungssatz (vgl. 3. 7 und 3. 9), so ist, mit einer beliebigen Familie (wi)i ∈ I − J in W, die eindeutige lineare Abbildung g : V → W mit
wie gewünscht. Speziell gilt dies für (wi)i ∈ I − J mit wi = 0 für alle i ∈ I − J.
Beispiele
(1) | Seien V = W = ℝ3, U = ℝ2 × { 0 } und sei f : U → ℝ3 die Drehung in der x-y-Ebene um π/2 gegen den Uhrzeigersinn. Wir betrachten nun die aus e1 = (1, 0, 0) und e2 = (0, 1, 0) gebildete Basis von U und ergänzen diese um e3 = (0, 0, 1) zu einer Basis von ℝ3. Der Vektor w3 = e3 liefert als Fortsetzung g : ℝ3 → ℝ3 von f die Drehung um π/2 um die z-Achse im ℝ3 gegen den Uhrzeigersinn. Das Bild von g ist ℝ3. Der Vektor w3 = 0 liefert dagegen als Fortsetzung g die Projektion im ℝ3 „(x, y, z) nach (x, y, 0)“ auf die x-y-Ebene, gefolgt von der Drehung f um π/2 gegen den Uhrzeigersinn. Das Bild von g ist hier U. |
(2) | Seien V = W = ℝ2, U = ℝ × { 0 } und f : U → ℝ2 die Identität auf U, sodass f(x, 0) = (x, 0) für alle x ∈ ℝ. Wir ergänzen die Basis (e1) von U zur kanonischen Basis (e1, e2) von V. Dann liefert der Vektor w2 = 0 die Fortsetzung g : ℝ2 → ℝ von f mit g(x, y) = g((x, 0) + (0, y)) = (x, 0) + y g(0, 1) = (x, 0) für alle (x, y) ∈ ℝ2. Ergänzen wir dagegen (e1) zur Basis (e1, (1, 1)) des ℝ2, so liefert der Vektor w2 = 0 die Fortsetzung g von f mit g(x, y) = g((x − y, 0) + y (1, 1)) = (x − y, 0) + y g(1, 1) = (x − y, 0) für alle (x, y) ∈ ℝ2. |
Wir halten also fest:
Warnung
Für die Vorgabe „wi = 0 für alle i ∈ I − J“ gilt im Allgemeinen nicht, dass g(v) = 0 für alle v ∈ V − U. Weiter hängt die Fortsetzung g von f auch für diese Vorgabe in der Regel von der Basis (vi)i ∈ I ab. Man kann also nicht von der Nullfortsetzung von f sprechen. Eindeutig ist g = „die Nullfortsetzung von f bzgl. der Basis (vi)i ∈ I“.