4.9 Isomorphie von Vektorräumen
Satz (Isomorphiesätze)
Isomorphiesatz für endlich-dimensionale Vektorräume
Ist V ein endlich-dimensionaler K-Vektorraum und n = dim(V), so ist K isomorph zum K-Vektorraum Kn.
Allgemeiner Isomorphiesatz
Ist V ein K-Vektorraum und (vi)i ∈ I eine Basis von V, so ist V isomorph zum K-Vektorraum K(I) und weiter zu jedem Vektorraum K(J) mit |I| = |J|. Insbesondere gilt: Zwei K-Vektorräume V und W sind genau dann isomorph, wenn sie gleichmächtige Basen besitzen, d. h., wenn es eine Basis (vi)i ∈ I von V, eine Basis (wj)j ∈ J von W und eine Bijektion b : I → J gibt.
Ist V n-dimensional, so liefert der Übergang von einem Vektor v ∈ V zu seinem Koordinatenvektor (α1, …, αn) ∈ Kn bzgl. einer Basis (v1, …, vn) von V einen Isomorphismus zwischen V und Kn. Die Senkrechten des Diagramms kann man sich als Regler eines Mischpults vorstellen, mit denen man alle Vektoren in V einstellen kann.
Die Vektorräume Kn und allgemeiner K(I) sind Könige im Reich aller K-Vektorräume. Bis auf die „Namen der Vektoren“ ist jeder endlich-dimensionale Vektorraum ein Kn und jeder unendlich-dimensionale Vektorraum ein K(I) mit I = ℕ, ℝ usw. Man sagt auch:
In den Isomorphieklassen der K-Vektorräume gibt es kanonische Repräsentanten.
Beispiele
(1) | Ist V n-dimensional, so gilt V ≅ Kn. Ist also K endlich, so hat V genau |K|n-viele Vektoren. |
(2) | Für den ℝ-Vektorraum ℂn ist eine Basis gegeben durch e1 = (1, 0, …, 0), …, en = (0, …, 0, 1), en + 1 = (i, 0, …, 0), e2n = (0, …, 0, i). Damit ist der ℝ-Vektorraum ℂn isomorph zum ℝ-Vektorraum ℝ2n. |
(3) | Ist V ein K-Vektorraum mit einer abzählbar unendlichen Basis, so ist V isomorph zum K-Vektorraum K[ X ] = K(ℕ) aller Polynome über K. |
Hinsichtlich des endlich-dimensionalen Satzes betrachten wir eine Basis B = (v1, …, vn) von V und die Koordinatenabbildung ΦB : V → Kn mit Φ(vi) = ei für alle i, d. h.
ΦB(α1 v1 + … + αn vn) = α1 e1 + … + αn en = (α1, …, αn).
Diese Zuordnung ist bijektiv, da jedem Vektor genau ein Koordinatenvektor entspricht und umgekehrt (vgl. 3. 6).
Ist allgemeiner (vi)i ∈ I eine Basis von V und B = (ei)i ∈ I die kanonische Basis des K(I), so ist ΦB : V → K(I) mit ΦB(vi) = ei für alle i ∈ I bijektiv, sodass V und K(I) isomorph sind. Ist b : I → J bijektiv, so ist auch die lineare Abbildung g : K(I) → K(J) mit g(ei) = eb(i) für alle i ∈ I bijektiv, sodass K(I) und K(J) isomorph sind.
Das Ergebnis ist so stark, dass man fast ein wenig enttäuscht sein könnte. Konzentriert man sich auf endlich-dimensionale K-Vektorräume mit den Skalarenkörpern K = ℝ oder K = ℂ, so gibt es bis auf Isomorphie nur die Beispiele
ℝ0, ℝ1, ℝ2, …, …, ℝn, … und ℂ0, ℂ1, ℂ2, …, …, ℂn, …
So viel Aufwand für so wenig? Die Skepsis ist nicht berechtigt:
(a) | Dass die Welt einfacher ist, als sie sein könnte, bleibt erfreulich. |
(b) | Ohne den allgemeinen Vektorraumbegriff kann man gar nicht sehen, dass viele Strukturen bis auf Isomorphie der ℝn, ℂn oder allgemeiner der Kn sind (man denke etwa an die Polynome über K vom Grad kleiner als n). |
(c) | Der Kn stellt zwar Kodes für Vektoren in V zur Verfügung, kann aber oft V nicht vollständig ersetzen, da dadurch eine auf V vorhandene zusätzliche Struktur verloren gehen würde. |
(d) | Für Vektorräume wie den ℝℕ oder ℝℝ, die eine überabzählbare Basis besitzen, bleibt der Isomorphiesatz abstrakt (vgl. den folgenden Exkurs). |
Exkurs: Basen des KI für unendliche Indexmengen I
Ist B eine Basis eines unendlich-dimensionalen K-Vektorraums, so sind die Mengen V und B × K gleichmächtig. (Beweisidee: Eine Basis B kodiert alle Vektoren in V durch Tupel der Form (b1, …, bn, α1, …, αn) ∈ Bn × Kn, n ∈ ℕ, und davon gibt es genau B × K viele, wenn B oder K unendlich ist.) Ist nun KI ein K-Vektorraum mit einer unendlichen Indexmenge I, so existiert eine linear unabhängige Menge der Mächtigkeit von K, etwa { gα : I → K | α ∈ K } mit
gα(n) = αn für alle n ∈ ℕ, gα(i) = 0 für alle i ∈ I − ℕ,
wobei wir ohne Einschränkung ℕ ⊆ I annehmen. Also ist die Mächtigkeit einer Basis B von KI größergleich der Mächtigkeit von K und damit gilt
|KI| = |B × K| = |B|. (Satz von Erdös-Kaplansky)
Der ℝ-Vektorraum ℝℕ aller unendlichen reellen Folgen hat also Basen der Mächtigkeit von ℝℕ. Da ℝℕ, ℝ und ℘(ℕ) = { A | A ⊆ ℕ } gleichmächtig sind, gilt also
ℝℕ ≅ ℝ(ℝℕ) ≅ ℝ(ℝ) ≅ ℝ(℘(ℕ)).
Analog hat der ℝ-Vektorraum ℝℝ aller reellen Funktionen Basen der Mächtigkeit von ℝℝ. Die Mengen ℝℝ und ℘(ℝ) = { A | A ⊆ ℝ } sind gleichmächtig, sodass
ℝℝ ≅ ℝ(ℝℝ) = ℝ(℘(ℝ)).