5.5 Invertierbare Matrizen
Definition (Invertierbarkeit, Inverse, allgemeine lineare Gruppe)
Seien K ein Körper und n ≥ 1. Ein A ∈ Kn × n heißt invertierbar, falls es ein B ∈ Kn × n gibt mit A B = B A = En. Die Matrix B heißt dann die zu A inverse Matrix und wird mit A−1 bezeichnet. Eine nicht invertierbare Matrix nennt man singulär. Weiter heißt
GL(n, K) = { A ∈ Kn × n | A ist invertierbar }
die allgemeine lineare Gruppe vom Grad n über K.
Die Invertierung entspricht der Umkehrabbildung: (Af)−1 = Af −1.
Die Gruppe GL(n, K) besteht aus den Einheiten des Matrizenrings Kn × n („GL“ steht für „general linear“). Nach den Rechenregeln in Gruppen gilt für alle A, B ∈ GL(n, K):
(A−1)−1 = A, (A B)−1 = B−1 A−1.
Jeweils äquivalent zur Invertierbarkeit von A ∈ Kn × n sind die Bedingungen:
fA : Kn → Kn ist bijektiv (gleichwertig: injektiv, surjektiv).
Die Spalten von A bilden eine Basis des Kn.
Es gibt ein B ∈ Kn × n mit A B = En oder B A = En.
Die beiden ersten Kriterien folgen aus der Definition. Das nicht selbstverständliche dritte Kriterium ergibt sich daraus, dass fA ∘ fB = id impliziert, dass fA surjektiv und fB injektiv ist (vgl. hierzu die Diskussion von M× in 2. 3).
Beispiele
(1) | Eine Diagonalmatrix A = diag(a1, …, an) ist genau dann invertierbar, wenn alle ai von null verschieden sind. In diesem Fall gilt A−1 = diag(a−11, …, a−1n). |
(2) | Die Drehmatrizen Aφ ∈ ℝ2 × 2 sind invertierbar mit A−1φ = A− φ. Sie bilden eine Untergruppe von GL(2, ℝ). |
(3) | Für A ∈ GL(2, ℝ) gilt A−1 = 1a11a22 − a21a12 , vorausgesetzt, der Nenner ist ungleich 0. Diese Formel wird durch die Einführung von Determinanten verständlich (vgl. 7. 1). |
(4) | Die Summe A + B von A, B ∈ GL(n, K) ist im Allgemeinen nicht invertierbar, wie A = En und B = −En zeigen. Mit A ist aber stets auch −A invertierbar. |
Wir betrachten zwei Anwendungen invertierbarer Matrizen.
Eindeutig lösbare lineare Gleichungssysteme
Eine Matrix A ∈ Kn × n ist genau dann invertierbar, wenn das Gleichungssystem
A x = b
für alle b ∈ Kn eine eindeutige Lösung besitzt. Denn genau dann ist fA : Kn → Kn bijektiv. Ist umgekehrt A−1 bekannt, so gilt
A x = b genau dann, wenn x = A−1 b, (Lösen durch Invertierung)
wie die Multiplikation von links mit A−1 zeigt. Kennt man A−1, so kann man A x = b für jede rechte Seite b durch Berechnung von A−1 b lösen.
Berechnung von Koordinatenvektoren
Seien 𝒜 = (a1, …, an) eine Basis des Kn und Φ𝒜 : Kn → Kn die zugehörige Koordinatenabbildung. Wir bilden die n × n-Matrix A mit den Basisvektoren als Spalten:
A = .
Für alle x, y ∈ Kn gilt Φ𝒜(x) = y genau dann, wenn
x = y1 a1 + … + yn an = A y.
Die Matrix A ist also die darstellende Matrix von Φ−1𝒜 (bzgl. der Standardbasen), da Φ−1𝒜(y) = A y für alle y. Damit ist A−1 die darstellende Matrix von Φ𝒜, sodass
(+) Φ𝒜(x) = A−1 x für alle x ∈ Kn. (Koordinatenberechnung durch Invertierung)
Alternativ können wir so argumentieren: A ist die darstellende Matrix von id : Kn → Kn bzgl. der Basen 𝒜 und ℬ = (e1, …, en), denn die Spalten von A sind die Koordinatenvektoren von id(ai) bzgl. ℬ. Das kommutative Diagramm rechts liefert (+).
Es bleiben die Fragen:
Wie berechnet man A−1 für A ∈ GL(n, K)?
Wie überprüft man, ob A ∈ Kn × n invertierbar ist?
Der Ansatz „AB = En“ mit einer unbekannten Matrix B ∈ Kn × n führt zu n linearen Gleichungssystemen
Ax = e1, …, Ax = en,
deren Lösungen die Spalten von B = A−1 bilden. Eine effektive Möglichkeit zur Bestimmung von A−1 werden wir im folgenden Abschnitt kennenlernen.