6.10Der Rieszsche Darstellungssatz

Satz (Rieszscher Darstellungssatz)
ela1-AbbID295

f(x, y) = −6x − 8y5

w  =  (−6/5, −8/5),  ∥ w ∥  =  2

Sei V ein endlich-dimensionaler euklidischer oder unitärer Vektorraum, und sei f  ∈  V*. Dann gibt es ein eindeutiges w  ∈  V mit f = 〈 w, · 〉, d. h.

f (v)  =  〈 w, v 〉  für alle v  ∈  V.

 Für alle w  ∈  V ist 〈 w, · 〉  ∈  V*. Der Satz besagt, dass umgekehrt jedes f  ∈  V* von der eindeutigen Form 〈 w, · 〉 ist, falls V endlich-dimensional ist. Wir nennen w den darstellenden oder Riesz-Vektor von f.

Konstruktion des darstellenden Vektors

Wir nehmen K =  an und betrachten eine Orthonormalbasis (v1, …, vn) von V und die Dualbasis (v*1, …, v*n) von V*. Dann gibt es eindeutige α1, …, αn  ∈   mit

f  =  α1 v*1  +  …  +  αn v*n.

Es gilt 1, …, αn) = Φ(v*1, …, v*n)(f) mit der Koordinatenabbildung Φ(v*1, …, v*n) : V*  n.

Weiter ist α1 = f (v1), …, αn = f (vn), sodass die αi durch Auswerten von f auf den Basisvektoren berechnet werden können. Für alle v = λ1 v1 + … + λn vn  ∈  V gilt

f (v)  =  f 1 v1 + … + λn vn)  =  (α1 v*1 + … + αn v*n)(λ1 v1 + … + λn vn)  = 

α1 λ1  +  …  +  αn λn  =  〈 α1 v1 + … + αn vn, v 〉,

wobei wir im letzten Schritt die Orthonormalität der Basis verwenden. Damit ist

w  =  α1 v1  +  …  +  αn vn. (Identifikation des darstellenden Vektors)

Zur Eindeutigkeit beobachten wir, dass für alle w ≠ u die Abbildungen 〈 w, · 〉 und 〈 u, · 〉 verschieden sind. Denn ist 〈 w, · 〉 = 〈 u, · 〉, so ist 〈 w − u, · 〉 die Nullabbildung, sodass insbesondere 〈 w − u, w − u 〉 = 0 und damit w = u nach positiver Definitheit. Für K =  bleibt die Argumentation gleich, wobei die Konjugationen wegfallen.

Beispiele

(1)

Sei V = n mit dem kanonischen Skalarprodukt und der Standardbasis (e1, …, en), und sei f : n   linear. Dann gilt für alle v = 1, …, λn)  ∈  n:

f (v)  =  f 1 e1 + … + λn en)  =  λ1 f (e1)  +  …  +  λn f (en)  = 

f (e1) λ1  +  …  +  f (en) λn  =  〈 (f (e1), …, f (en)), v 〉,

sodass w = (f (e1), …, f (en))  ∈  n der darstellende Vektor von f ist.

(2)

Für den 2 mit dem kanonischen Skalarprodukt ist ein lineares f : 2   eine Ebene durch den Nullpunkt. Der Riesz-Vektor w  ∈  2 ist

w  =  (f (1, 0), f (0, 1)).

Dieser Vektor steht senkrecht auf Kern(f) (dem Schnitt von f mit der x-y-Ebene) und zeigt in die Richtung des stärksten Anstiegs der Ebene. In der Sprache der Analysis ist w der Gradient von f im Punkt 0. Obiges Diagramm visualisiert die Situation für ein konkretes f.

 Der Rieszsche Darstellungssatz ist für unendlich-dimensionale Vektorräume nicht mehr ohne zusätzliche Voraussetzungen gültig:

Beispiel

Sei V der -Vektorraum der reellen Polynomfunktionen auf  mit

〈 f, g 〉  =  1−1 f (x) g(x) dx  für alle f, g  ∈  V.

Wir betrachten das lineare Funktional F : V   mit

F(f)  =  f (0)  für alle f  ∈  V. (Auswertung am Nullpunkt)

Annahme, es gibt ein g  ∈  V mit F(f) = 〈 g, f 〉 für alle f  ∈  V. Dann gilt 〈 g, x2 g 〉 = 0, da das Polynom x2 g im Nullpunkt gleich 0 ist. Damit ist aber

1−1 x2 g(x)2 dx  =  〈 g, x2 g 〉  =  0.

Dies ist nur möglich, wenn g = 0. Dann ist aber F = 〈 g, · 〉 = 0, Widerspruch.

Exkurs I:  Der Darstellungssatz für stetige Funktionale auf Hilbert-Räumen

Ist ein euklidischer oder unitärer Vektorraum V bzgl. der durch das Skalarprodukt induzierten Norm vollständig (im Sinne der Konvergenz von Cauchy-Folgen in V), so nennt man V einen Hilbert-Raum. So ist beispielsweise der 2() ein Hilbert-Raum. Der Rieszsche Darstellungssatz gilt nun für Hilbert-Räume, wenn man sich auf stetige Funktionale f : V  K beschränkt. Jedes stetige Funktional hat also die eindeutige Form 〈 w, · 〉 und umgekehrt sind alle 〈 w, · 〉 stetige Funktionale.

Exkurs II:  Bra-Vektoren und Ket-Vektoren (Dirac-Notation)

In der mathematischen Physik schreibt man die lineare Abbildung 〈 w, · 〉 : V   oft als Bra-Vektor in der Form 〈  w|. Weiter schreibt man v  ∈  V als Ket-Vektor in der Form |v  〉. Die Sprechweisen sind durch Bra-Ket ∼ bracket motiviert: Ein Bra-Vektor lässt sich auf einen Ket-Vektor anwenden: 〈  w | | v  〉 = 〈 w | v 〉 = 〈 w, v 〉. Ist nun (vi)i  ∈  I eine Orthonormalbasis von V, so gilt für alle v = i αi vi, w = i βi vi  ∈  V

i  ∈  I 〈 w | vi  〉 〈 vi | v 〉  =  i  ∈  I βi αi  =  〈 w | v 〉.

Damit lässt sich i  ∈  I |vi  〉 〈  vi| als Identität interpretieren. Insgesamt entsteht ein suggestiver Kalkül, der insbesondere in der Quantenmechanik verwendet wird.